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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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sichtbaren wirtschaftlichen Niedergang für die Truppe bedeutete. Hierfür genügte schon ein Blick aufs Trinkgeld.
    Das Mobiltelefon befand sich zu dieser Zeit noch im Schoß der Evolution. Im Nachhinein will ich mir gar nicht vorstellen, wie es wohl geklungen hätte, wenn alle unsere Gäste, die hier quasi ihre Geschäftsräume hatten, parallel mit dem Handy telefoniert und SMS empfangen hätten.
    Eine tägliche Konstante waren Diplomaten oder Angestellte der Vertretungen aus dem arabischen Raum. Ausnahmslos Männer, in jedem Alter, kamen und gingen, hielten sich kurz oder länger in der Bar auf, wechselten die Gesprächspartner, spielten mit ihren Gebetsketten und rauchten viel. Im Gegensatz zu den Barmännern, die an ihren Umsatz dachten, störte es mich wenig, wenn ich an einem Tisch innerhalb von drei Stunden zwei Tee und ein Mineralwasser servierte und dazu ungefähr achtzehn Mal den Aschenbecher wechseln musste. Sie waren angenehme, zurückhaltende Gäste, die nichts tranken, was ihnen nicht bekam, und immer großzügig bezahlten. Noch dazu waren sie immer präsent, auch zu den umsatzschwachen Zeiten.
    Durch den ständigen Kontakt wurden wir mit einigen allmählich vertraut und wir unterhielten uns ein bisschen, wenn Zeit und Sprachkenntnisse es zuließen. So machte mich ein älterer rundlicher Palästinenser mit den Pistazien bekannt, als er meine neugierigen Blicke auf seinen Tisch sah, wo er aus den Schalen einen kleinen Berg aufgetürmt hatte. Als er mir ein paar anbot, hatte ich keine Ahnung, was ich mit den sonderbaren Nüssen, deren Schale immer einen Spalt offen stand, anfangen sollte. Er erklärte es mir mit Hingabe und brachte mir bei seinem nächsten Besuch eine kleine Tüte davon mit, die ich wie einen Schatz mit nach Hause nahm, um auch Paul damit bekannt zu machen.
    Auch das Gewürz Kardamom, mit dem ich nie zuvor in Berührung gekommen war, brachten mir die Wüstensöhne näher. Sie taten die Kapseln in ihren Tee und forderten mich auf, es auch mal zu probieren. Doch ich empfand es nicht unbedingt als Aufwertung des Geschmacks.
    Die Plaudereien mit Diplomaten hatten handfeste Vorteile, da sich jene ohne Kontrollen zwischen Ost- und Westberlin frei bewegen konnten. Je nachdem, wie vertraut wir inzwischen miteinander umgingen, gaben wir schon mal Bestellungen auf und ließen uns Tontechnik, Schallplatten oder Erdbeeren im Winter mitbringen.
    War solch eine Bestellung aufgegeben, hieß es aber, geduldig abzuwarten. Denn so freundlich und bereitwillig so mancher von den Botschaftsangestellten unsere Wünsche entgegengenommen hatte, so unverbindlich war das Lieferdatum. Insgesamt lebten wir nicht schlecht mit diesen speziellen Gästen und ihren Möglichkeiten, bis in diese Sorglosigkeit plötzlich eine beklemmende Geschichte drang.
    Wir nannten ihn Tarek, wie wir es von seinen Begleitern aufgeschnappt hatten. Er war schon älter, hünenhaft, mit grauem Vollbart und dunkelrandiger Brille. Man sagte, er käme aus Syrien. Tarek kam fast täglich und saß immer an einem Tisch, von wo aus er die ganze Bar im Überblick hatte. Er war selten allein. Entweder hatte er Gesellschaft von jungen Männern oder seiner um Jahrzehnte jüngeren Freundin.
    Ich hatte ihm in ein paar Monaten wohl schon über hundert Glas Tee serviert, als das Gerücht aufkam, er wäre der Mann, der das Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 in München organisiert hätte. Eine ungeheuerliche Anschuldigung, die im Kollegenkreis heftig diskutiert wurde.
    Terror, Kriege und Gewalt gab es in meiner Welt nur im Fernsehen oder in der Vergangenheit. Die beiden Weltkriege mit ihren Katastrophen drangen zum ersten Mal in meinBewusstsein und in meine Fantasie, als mir meine Oma davon erzählte. Doch sie war eine alte Frau und für mich als Kind war das alles ewig her. Es berührte mich zwar, wenn sie von ihrer Trauer um ihre Brüder oder den Ängsten bei den Bombenangriffen erzählte. Doch das blieben Dinge der Vergangenheit, die fern waren.
    Als Kind hatte ich vom Terror der RAF in der Bundesrepublik mit Entführungen und Morden gehört. In den Nachrichtensendungen sah ich die Toten auf der Straße neben den zerstörten Autos liegen. Ich sah die Betroffenheit der Politiker, hörte die Diskussionen um erhöhte Sicherheitsvorkehrungen und die Berichterstattung über die Ermittlungen. Aber dies passierte auf dem Bildschirm und in dem Deutschland, das für uns unerreichbar war.
    Aber dies hier war greifbar und lebendig. Saß hier jemand, der

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