STASIRATTE
Augenblick.
In meine Überlegungen hinein fragte er: „Gefällt es dir hier?“
„Es ist herrlich“, antwortete ich, „so natürlich und so abgeschieden, als wäre man in einer anderen Welt ...“ Ich wollte meine Glücksgefühle noch in passende Worte kleiden und die Romantik der Situation unterstreichen, als mich Paul sanft auf den sandigen Boden der Uferzone zog.
„Hier?“, fragte ich und sah mich nach allen Seiten um.
„Hier ist doch niemand weit und breit“, er wollte sich jetzt nicht aufhalten lassen. Schließlich gab ich nach und fühlte wenig später den rauen Sand und ein paar Grasbüschel auf meiner Haut. Neben mir lagen meine Sachen verteilt. Neben unseren Atemgeräuschen hörte ich nur das Zwitschern der Vögel, die in den Weiden saßen.
Gern wäre ich noch ein wenig an den Teichen geblieben, eins mit der Umgebung und der erfüllenden Situation. Doch Paul wollte weiter. Denn nun ging es an die Besichtigung der Gebäude. Ich war gespannt, welche Pläne Paul damit hatte. „Hier werde ich ein wenig Substanz stehen lassen und dann größer bauen.“ Wir befanden uns im Wohnhaus. Paul ging herum und sprach von baulichen Details, Materialien, die man brauchen würde, von Maßen und Wandstärke, Dachüberstand ... ich grübelte, wie er das alles bewältigen wollte.
Auch fragte ich mich, was für ein Mensch er wohl war, wenn er dies hier zu seiner Lebensaufgabe machen wollte. Und dass es eine solche war, nahm ich auf jeden Fall an. Hier war es einsam, die große Stadt zwei Autostunden entfernt. Im Ortskern, den man auch nur mit dem Auto schnell erreichen konnte, gab es zwei Gaststätten, einen Konsum, einen Fleischerladen und zwei Bäcker. Wahrscheinlich noch einen Sportverein und die Freiwillige Feuerwehr. Das war es dann aber auch schon. Paul war Mitte dreißig und eher nicht der Typ des intellektuellen Aussteigers. Was trieb ihn an, auf diesem Fleckchen Erde Quartier zu machen? Wollte er es den anderen zeigen? Seht her, ich habe etwas Besonderes, das ihr so schnell nicht nachmachen könnt!
Es war schon sehr schwer, in der DDR besonders zu sein und es auch noch zu zeigen. Das Bedürfnis danach hatten wir natürlich trotzdem. Nicht wenige suchten mühsam nach Möglichkeiten, sich von den anderen abzuheben. Da wir nicht alle zu herausragenden Wissenschaftlern oder Künstlern taugten, wurde versucht, mit Äußerlichkeiten Aufmerksamkeit zu erregen.
Wir brauchten also Dinge, die die anderen nicht hatten. Und diese Dinge waren schwer zu bekommen, sonst hätten die anderen sie ja auch gehabt. Manche versuchten es mit teurem Schmuck, hier konnten Erbstücke zum Einsatz kommen. Andere kauften sich überteuerte Klamotten und Schuhe und stolzierten damit in den wenigen schicken Restaurants oder Bars herum. Besonders toll war es, ein ausgefallenes Auto zu fahren.
Auf dieser Besonderheitsskala kämen nun eigentlich die Immobilien. Doch mit ihnen hatte es auch seine Tücken.
Es gab Grundstücke, die seit Generationen im Familienbesitz waren und die einem nicht streitig gemacht werden konnten. Dann gab es die sogenannten Westgrundstücke, deren Eigentümer vor 1961 in den Westen gegangen waren. DieseGrundstücke waren nun im Besitz des Staates, der sie verwaltete und vermietete. Die Leute, die darin wohnten, wussten um ihren Status, und je nach Temperament und Möglichkeiten gestalteten und pflegten sie ihr Heim wie das eigene.
Problematisch waren große Mietshäuser. Wer eines hatte, wollte es nicht selten loswerden. Es war mit erheblichem Auf-wand verbunden, die Hütte instand zu halten, und der Eigentümer durfte nicht erwarten, dass er seine Investitionen mit der Miete wieder hereinbekam. Der Quadratmeter Wohnraum unterlag einer staatlich regulierten Mietpreisbindung und kostete in der Regel unter einer Mark.
Einen Immobilienmarkt gab es kaum. Wohnraum war knapp und wer in einem Haus wohnte, hatte in der Regel keinen Grund, das ändern zu wollen. Lediglich wenn die Eigentümer wegstarben und es keine Erben gab, stand mal eine Immobilie zum Kauf.
Entsprechend erstaunt war ich über das große Stück Land, das Paul mir hier präsentierte.
Hier waren die Eigentümer offensichtlich schon länger fort und die Gebäude dem Verfall preisgegeben. Der Staat hatte wohl auch kein Interesse daran und so war es möglich geworden, dass es nun durch einen neuen Besitzer aus dem Dornröschenschlaf erweckt werden konnte.
Die staatliche Verwaltung dazu zu bringen, das Grundstück zu verkaufen, hatte jedoch viel
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