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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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einen terroristischen Überfall organisiert hatte? Hier vor mir, gemütlich im Ledersessel, mit jovialem Gesichtsausdruck, ruhig und freundlich, mit einem Glas Tee und einer Zigarre. Nicht auf dem Bildschirm, nicht nur in meiner Fantasie. Ich musste unbedingt mit Gerry darüber sprechen.
    „Wenn das stimmen sollte“, sagte ich zu ihm, „dann weiß das doch auch die Polizei. Warum nehmen die ihn nicht fest?“
    „Da mach dir mal nicht zu viel Gedanken drüber“, war seine Antwort. „Unsere Polizei hat doch kein Interesse daran. Die wollen es sich nicht mit anderen Ländern verscherzen, von denen sie mühsam völkerrechtlich anerkannt worden sind“, meinte er, da er sich offenbar schon ausführlicher Gedanken gemacht hatte. Und er fügte noch hinzu: „Hier ist der doch absolut sicher und hat genug Kohle, um sich bei uns ein schönes Leben zu machen. Er darf nur nicht den Fehler machen und rüberfahren.“ Er lachte abfällig. „Aber muss er ja nicht. Er hat hier seine Mädels und versorgt wird er von den Jungs, die immer um ihn herum sind.“
    Den so Bezichtigten betrachtete und bediente ich fortan mit Unbehagen. Sollte das Gerücht stimmen, hatte er es sich in der Tat hier gemütlich gemacht. Wie auf der Flucht wirkte er jedenfalls nicht. Im Gegenteil, manchmal wirkte die Szenerie, als würde ein verdienter Kader hier seine Audienzen abhalten. Tarek saß stundenlang bei seinem Tee, ließ die Gebetskette durch die Finger rinnen, während über Stunden immer wieder junge Männer erschienen, sich zu ihm setzten und andächtig seiner Rede zuhörten.
    Ich konnte eigentlich nicht glauben, dass sich niemand für diesen Mann interessierte. Hätte hier nicht unsere Kriminalpolizei tätig werden müssen? Waren wir ein Land, das so jemanden unbehelligt ließ? Ich fragte mich, was hier noch alles für Typen herumliefen. Dann kam ich auf die Idee, mich mal genauer umzusehen, wenn Tarek wieder seine Teestunde abhielt. Ich vermutete, dass er von der Stasi beobachtet wurde, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass dieser Apparat einen Terroristen jemals ganz aus den Augen lassen würde. Aber was gab es für Gründe, ihn nicht des Landes zu verweisen, sondern seinen Aufenthalt zu dulden und womöglich zu finanzieren? Woher wusste man, dass er nicht wieder Grausames plante? Also wuchs meine Überzeugung, dass er unter ständiger Beobachtung stehen würde. War es in diesem Fall nicht günstig, dass es überhaupt staatliche Überwachung gab? Oder verwechselte ich da etwas? Und wo waren dann die Überwacher? Ich sah mich immer gründlich um, wenn Tarek da war, doch ich konnte nichts Auffälliges feststellen.
    Ich erzählte Gerry von meinen Schlussfolgerungen, der aber nur abwinkte. „Die erkennst du doch nicht“, sagte er, „könnte jeder sein. Und so dämlich rumstehen wie die Typen an den Straßenecken, wenn irgendwas in der Stadt los ist, werden die hier bestimmt nicht. Wir sind hier von allen Seiten einsehbar. Hier die Fensterfront, drüben die Hotelhalle.Solche Leute benehmen sich unauffällig, wechseln sich ab und so.“ Ich staunte über seine Ausführungen. Trotzdem war mir die Situation weiterhin nicht geheuer und ich wollte wachsam sein.
    Als ich Paul davon erzählte, war der nur mäßig interessiert. „Kümmere dich mal nicht um solche Sachen, das machen schon andere“, war sein Rat. Und als ich keine Ruhe gab: „Was willst du denn erreichen? Dass sie auf dich aufmerksam werden, wenn du einen großen Wirbel machst? Verbrenn dir lieber nicht den Mund.“ Er lächelte etwas herablassend und ergänzte dann um seine Grundüberzeugung: „Glaub mir, es ist das Beste, sich aus Dingen herauszuhalten, die einen nichts angehen.“
    Heute frage ich mich, inwiefern er zu diesem Zeitpunkt ein Experte war. Damals fragte ich mich, warum es ihn so kalt ließ, welche Leute in unserem Land unbehelligt blieben. Wollte er mich nur schützen?
    Mein Widerspruchsgeist und meine Vorsicht mussten sich fortan gegenseitig tolerieren. Ich war offenbar an einem Platz, an dem es nicht immer mit rechten Dingen zuging. Aber es war auch ein sehr attraktiver und einträglicher Platz, zu einträglich vielleicht, um genau hinzusehen und sich selbst Ärger zu machen. Und Paul war inzwischen mein wichtigster Ratgeber. Er war über zehn Jahre älter als ich und kannte sich mit vielen Winkelzügen unseres Lebens aus.
    So akzeptierte ich Licht und Schatten und genoss gelegentlich sogar ein bisschen den Nervenkitzel im täglichen Einerlei.
    Über zehn

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