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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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Verlegenheit ein bisschen weg. Eine Unterhaltung fand kaum statt und war auch eigentlich nicht unser Anliegen. Nachdem wir umständlich unsere Kippen ausgedrückt hatten, nahm Jamal mein Handgelenk und zog mich sanft auf den Teppich. Bald darauf verschwand das desolate Zimmer aus meinem Bewusstsein.
    Wieder auf den Füßen und nach einem Besuch im Badezimmer fand ich Jamal mit einem kleinen grünen Buch in der Hand mitten im Wohnzimmer stehend. Er deutete mit wichtiger Miene darauf: „This is the most important book of my country. It’s like the bibel. You have to read it.“ Ich nahm das Buch in die Hand und gab es ihm gleich wieder zurück, denn die arabische Schrift konnte ich nicht lesen. Er schlug es aufund blätterte ein bisschen darin herum. „What is it and why is it that important?“ Sein Gesichtsausdruck nahm jetzt den eines Oberlehrers an. „It is written by our leader and it includes all what you need to know for how to live.“ Ich dachte, der spinnt doch jetzt, und sagte etwas in der Art, dass dann mal der Mieter dieser Wohnung das lesen und den Putzlappen in die Hand nehmen sollte. Jamal fand das gar nicht witzig, sondern sah mich etwas abschätzig an. Mir war gerade nicht klar, was auf einmal los war. Bei unseren Verständnisschwierigkeiten sollten wir vielleicht nicht gleich mit einem arabischen Lehrbuch anfangen, dachte ich bei mir. Ich griff danach, doch er ließ es sich nicht aus der Hand nehmen. Our leader, was für ein leader, überlegte ich.
    Da musste ich beinahe hysterisch lachen, als mir plötzlich etwas einfiel. Bloß nicht, das kann doch nicht sein. Ich platzte mit der Frage heraus, die ich bis vor einer Stunde noch für nebensächlich gehalten hatte: „What is your country?“ „Libya“, folgte die stolze Antwort. Ich war entsetzt und nickte mechanisch.
    Nach dieser denkwürdigen Szene verabschiedete ich mich hölzern. Bald stand ich wieder allein auf der Straße zwischen ein paar Plattenbauten und spürte die frische Frühlingsluft. Es schien keine Sonne und der Himmel war hellgrau. Langsam ging ich den Weg zur U-Bahn und in mir lief diese zweite Begegnung mit Jamal noch einmal ab.
    Es würde die letzte Begegnung dieser Art gewesen sein, das wusste ich sicher. Tränen liefen über mein starres Gesicht. Ich hätte mich ohrfeigen können für meine Gefühle und meine Naivität. Das war die nächste und deutlichste Abweichung meines Plans. Der Wind frischte auf und trocknete mein Gesicht.
    In den nächsten Wochen kam Jamal nicht in die Bar und ich war nicht unglücklich darüber. Nach und nach würde der Verstand das Strohfeuer löschen, hoffte ich.
    Da sprach mich Gerry bei der gewohnten Übergabe an einem Nachmittag plötzlich ziemlich barsch an: „Sag mal, was läuft’n da mit Jamal?“
    „Was?“ Ich verstand wirklich nicht, wie er darauf kam. Natürlich hatte ich mit niemandem über meine Affäre gesprochen. An einer guten Freundin, die für so etwas jetzt da sein könnte, mangelte es mir, seit Paul unsere Bekanntschaften bestimmte.
    „Na komm, nun tu mal nicht so“, fuhr Gerry fort und platzte dann heraus: „Ich hatte nämlich gestern Abend Besuch.“ Er machte eine Pause und ein Gesicht, das ich so an ihm noch nie bei ihm gesehen hatte. Ich wartete.
    „Zwei Typen von der Stasi haben bei mir geklingelt und mich dann nach dir ausgefragt. Was du so treibst, wollten sie wissen. Was mit Paul ist, na ja, und ob ich wüsste, dass du einen libyschen Freund hast.“ Er starrte mich fragend an.
    So war es, wenn einem ein Plan um die Ohren flog. Doch mir war nicht zum Lachen zumute. Das durfte doch nicht wahr sein, wie blamabel. Ich fühlte mich wie die letzte Hinterhofschlampe.
    „Aber ich darf auf keinen Fall mit dir darüber sprechen, das musste ich sogar unterschreiben.“ Er atmete genervt aus und sah mich prüfend an.
    „Ja, ich habe mich mal mit ihm getroffen und wir sind ein bisschen rumgefahren, weiter war da nichts“, log ich.
    „Aber warum kommt dann gleich die Stasi zu mir?“ Gerry rang nach Fassung. Der Auftritt von Michas Kollegen hatte ihn stark beeindruckt.
    „Die wissen bestimmt, dass wir befreundet sind“, versuchte ich eine Antwort.
    „Von wem?“, Gerry war ungehalten.
    „Keine Ahnung, die wissen doch alles, horchen überall he-rum, haben ihre Spitzel.“ Ich fühlte mich erbärmlich bei meinen Erklärungen.
    „Was machst du denn überhaupt, hat Paul eine Ahnung davon?“
    „Nein, weißt du“, jetzt war ich genervt, „ich wollte ihn ja um

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