StatusAngst
Stellung, ihr Schicksal, ihre Rechte und Erwartungen werden stets andere sein.«
Bei Fannys Ankunft scheinen sich alle Vorurteile der Familie zu bestätigen. Julia und Maria stellen fest, dass Fanny nur ein einziges gutes Kleid besitzt, kein Französisch spricht und auch sonst nichts weiß. »Stellt euch vor, meine Cousine kann nicht die Karte von Europa aufzeichnen«, berichtet Julia Mutter und Tante, »auch kennt sie nicht die russischen Ströme, und von Kleinasien hat sie nie gehört — sehr merkwürdig. Hat man je so etwas Dummes gehört? Und wisst ihr was? Gestern Abend haben wir sie gefragt, wie sie nach Irland reisen würde, und sie sagte, sie würde zur Isle of Wight übersetzen.« »Ja, meine Liebe«, erwidert Mrs. Norris.
»Du und deine Schwester seid mit einem wunderbaren Gedächtnis gesegnet, und eure arme Cousine hat wahrscheinlich nichts dergleichen. Ihr müsst ihr das nachsehen und sie für ihre Schwächen bedauern.«
Jane Austen nimmt sich jedoch ein klein wenig mehr Zeit für die Entscheidung, auf wessen Konto die Schwächen gehen und in welcher Hinsicht. Über zehn Jahre folgt sie Fanny geduldig durch die Korridore und Salons von Mansfield Park, belauscht sie auf ihren Spaziergängen und im Schlafzimmer, sie liest ihre Briefe, hört sich ihre Betrachtungen über die Familie an, studiert ihre Mimik, blickt in ihre Seele. Und während sie das tut, entfaltet sie das Bild einer leisen, seltenen Tugend.
Im Unterschied zu Julia und Maria ist es Fanny egal, ob ein junger Mann ein Haus und einen Titel besitzt, sie ist entsetzt von Toms beiläufiger Kälte und Arroganz, sie zuckt zusammen, wenn die Tante die Vermögenslage ihrer Nachbarn taxiert. Dabei sinken Fannys Verwandte, die in der ländlichen Hierarchie einen so hohen Rang bekleiden, auf der so ganz anderen Scala des Status, nämlich der Wertschätzung der Autorin sehr bedenklich. Maria und ihr Freier, Mr. Rushworth, mögen Häuser, Pferde, Vermögen besitzen, aber Jane Austen hat gesehen, wie sie sich verliebten, und es ihnen nicht vergessen:
»Mr. Rushworth war von der ersten Minute an geblendet von Miss Bertrams Schönheit, und da er zur Heirat geneigt war, glaubte er alsbald, er habe sich verliebt. Maria Bertram, nun schon im einundzwanzigsten Lebensjahr, begann in der Ehe eine Verpflichtung zu sehen, und da die Ehe mit Mr. Rushworth sie in den Genuss eines Vermögens brachte, welches das ihres Vaters überstieg, und ihr überdies ein Haus in der Stadt sicherte, wurde es zu ihrer offenkundigen Pflicht, Mr. Rushworth zu heiraten, wenn es nur ging.«
Der Who's Who oder der englische Adelskalender hätten Maria und Mr. Rushworth höchste Ehre erwiesen, aber nach solchen Sätzen sieht sich Jane Austen dazu nicht mehr in der Lage - und auch ihre Leser nicht. Sie tauscht die Standardbrille, die Reichtum und Macht der Menschen ins Blickfeld rückt, gegen die moralische Brille, mit deren Hilfe die charakterlichen Qualitäten deutlich zutage treten. Durch diese Brille betrachtet, werden die Großen und Mächtigen schnell sehr klein, während die vergessenen und zurückhaltenden Gestalten zu Riesen anwachsen können. In der Welt des Romans zeigt sich, dass die Tugend anders verteilt ist als der materielle Reichtum. Die Reichen und Wohlerzogenen sind nicht automatisch die Guten, und die Armen und Ungebildeten nicht automatisch die Schlechten. Auch das verkrüppelte Kind, der zerlumpte Pförtner, der bucklige Glöckner oder das Mädchen, das nichts von Geographie versteht, können die Güte selbst sein. Fanny besitzt zwar keine prachtvollen Toiletten, kein Geld, und sie kann nicht Französisch, doch am Ende des Romans erkennen wir in ihr den wahren Edelmut, indes die anderen Familienmitglieder trotz ihrer Titel und Vorzüge im moralischen Desaster landen. Sir Thomas hat die Bildung seiner Kinder dem Dünkel geopfert, seine Töchter haben wegen des Geldes geheiratet und einen hohen seelischen Preis dafür gezahlt; das Herz seiner Frau ist versteinert. Die Hierarchie von Mansfield Park steht am Ende auf dem Kopf.
Doch verkündet Jane Austen uns die wahre Ordnung nicht von der Kanzel herab, sie setzt alle erzählerische Begabung und ihren Humor ein, um uns für diese Ordnung zu gewinnen und uns die andere widerwärtig zu machen. Sie erklärt uns nicht, weshalb ihre Bewertung richtig sei, sie erzählt dies in einer Geschichte, die uns außerdem zum Lachen bringt und nicht mehr loslässt. Wenn wir das Ende des Romans erreicht haben, kehren wir zurück in
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