StatusAngst
die Wirklichkeit, aus der uns Jane Austen fortgelockt hat, und verhalten uns so, wie sie es uns gelehrt hat. Wir stoßen uns an Gier, Arroganz und Hochmut und suchen das Gute in uns und anderen.
Jane Austen beschrieb ihre Prosa bescheiden als »kleines Stück Elfenbein (fünf Zentimeter breit), auf dem ich mit so feinem Pinsel male, dass von all der Mühe kaum etwas zu sehen ist«. Aber ihre Romane verraten einen viel weiter gespannten Ehrgeiz. Ihre Kunst ist der Versuch, mit dem, was sie als »Beschreibung einiger ländlicher Familien« bezeichnete, unser Leben zu kritisieren und zu ändern.
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Mit diesem Ehrgeiz stand Jane Austen nicht allein. In fast jedem großen Roman des 19. und 20.Jahrhunderts finden wir einen Sturmlauf gegen oder den skeptischen Blick auf die gesellschaftliche Hierarchie sowie Umwertungen zugunsten moralischer Qualitäten anstelle materiellen Reichtums oder blauen Bluts. Die Heldinnen und Helden dieser Bücher sind höchstens ausnahmsweise solche, die Who's Who und Adelskalender feiern; eher kann man sagen, die Ersten werden die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein. In Vater Goriot (1834) lenkt Balzac unsere Sympathien nicht etwa auf Madame de Nucingen und ihre Goldgemächer, sondern auf den zahnlosen alten Goriot, der seine Tage in einer elenden Absteige fristet. In Juda der Unberühmte (1895) von Thomas Hardy gilt unser Respekt nicht den Oxford-Gelehrten, sondern dem verarmten, ungebildeten Steinmetz, der die Wasserspeier der Universitätsgebäude repariert.
Romane, die verborgene Schicksale aufspüren, können als kreatives Gegengewicht zu den herrschenden Hierarchie-
Vorstellungen fungieren. Sie können enthüllen, dass die Dienstmagd, die sich in der Küche abmüht, große Sensibilität und moralische Kraft besitzt, während das Herz des Barons, der so ein heiseres Lachen und ein Silberbergwerk hat, durch und durch schwarz ist.
Wenn wir dazu neigen, diese Lektion zu vergessen, dann zum Teil deshalb, weil die guten Seiten anderer Menschen selten an den Äußerlichkeiten zu erkennen sind, auf die sich unsere Neugier begrenzt. George Eliot beginnt ihren Roman Middlemarch (1872) mit einer Erörterung dieser menschlichen Schwäche, dem Hang, nur die offenkundigen Großtaten zu bewundern, indem sie den gewagten Vergleich ihrer Heldin mit der heiligen Theresa von Avila (1512—1582) anstellt. Weil Letztere aus begütertem Hause stammte, war sie — wie George Eliot ausführt - in der Lage, ihre Menschenliebe und ihre Kreativität ganz konkret in die Tat umzusetzen. Sie gründete siebzehn Klöster, kommunizierte mit den gläubigen Geistesgrößen ihrer Zeit, schrieb eine Autobiographie und etliche religiöse Abhandlungen; als Mystikerin und Heilige gehört sie zu den großen Vorbildern der katholischen Kirche. Als sie starb, entsprach ihr Status bereits ihren charakterlichen Tugenden. Aber George Eliot erinnert uns an die vielen Menschen, die ebenso begabt und kreativ sind wie die spanische Heilige und dennoch keine großen Taten vollbringen, durch eigenes Verschulden wie auch ungünstige soziale Verhältnisse, und die sich daher mit einem Status begnügen müssen, der in keinem Verhältnis zu ihrem inneren Reichtum steht. »Viele Theresas wurden geboren, die kein heroisches Dasein führten, nur ein Leben voller Fehler, das Resultat einer gewissen geistigen Größe, die sich schlecht mit der Widrigkeit der Verhältnisse verträgt«, schreibt George Eliot und schildert dann das Leben einer solchen Frau in einer englischen Stadt der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Die Geschichte der Dorothea Brooke ist eine Kritik an der Unsitte der Welt, »Seelengröße« von Menschen zu übersehen, wo sie sich nicht mit »von jeher anerkannten Taten« verbindet.
Status im Leben — Status in Romanen
ROMAN
HOHER STATUS
IM ROMAN, GE-
RINGER STATUS
IM LEBEN
HOHER STATUS
IM LEBEN, GE-
RINGER STATUS
IM ROMAN
Joseph Andrews
(1742)
Henry Fielding
Joseph Andrews
Parson Adams
Lady Booby
Parson Trulliber
Jahrmarkt der Eitel-
keiten
(1848)
William Thackeray
William Dobbin
Amelia Sedley
Becky Sharp
Jos Sedley
George Osborne
Sir Pitt Crawley
Rawdon Crawley
Bleakhaus
(1848)
Charles Dickens
Esther Summerson
Jo
Bucket
The Dedlocks
Mr. Chadband
Mrs. Jellyby
Richard Carstone
Die Frau in Weiß
(1860)
Wilkie Collins
Anne Catherick
Marian Halcombe
Sir Percival Glyde
Count Fosco
Frederick Fairlie
Wie wir jetzt leben
(1875)
Anthony Trollope
Paul Montague
Mr. Brehgert
John
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