StatusAngst
seien vom Wunsch durchdrungen, »die Welt besser und glücklicher zu machen, als sie gewesen«. Nicht immer kleideten sie ihr Anliegen in die Gestalt einer offenen politischen Botschaft, nicht immer seien sich die Künstler dieses Anliegens überhaupt bewusst, dennoch sei in ihren Werken immer ein Aufbegehren gegen die herrschenden Verhältnisse enthalten und folglich auch die Bemühung, unsere Sicht zu korrigieren, unseren Schönheitssinn auszubilden, uns zum Verständnis unserer Leiden zu führen, unsere Empfindsamkeit zu neuem Leben zu erwecken, unser Mitgefühl zu steigern oder strenge Moral durch Lachen und Weinen auszutarieren. Seine Argumentation krönte Arnold mit einer These, auf der auch dieses Kapitel fußt: »Kunst«, so der Autor, »ist die Kritik des Lebens.«
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Wie sollen wir diese Worte verstehen? Vielleicht in erster Linie so, dass das Leben der Kritik bedarf, dass wir als gefallene Wesen ständig versucht sind, falschen Idolen zu huldigen, uns selbst zu verkennen, das Verhalten anderer zu missdeuten, uns in Ängsten oder Gelüsten aufzureiben, in Eitelkeiten und Irrtümern befangen zu bleiben. Mit List und Tücke, mit Humor oder Ernst vermag uns die Kunst in Gestalt von Romanen, Gedichten, Stücken, Bildern oder Filmen dazu zu dienen, unsere Lage zu erhellen. Sie kann zu einem wahrhaftigeren, tieferen, weitblickenderen Verständnis der Welt führen.
In Anbetracht der Tatsache, dass es nur wenig gibt, was so sehr der Kritik (oder durchdringenden Analyse) bedarf wie unser Umgang mit Statusfragen, wird es kaum überraschen, dass die Kunstgeschichte voller Werke ist, die sich auf die eine oder andere Weise — ironisch, wütend, lyrisch, elegisch oder humoristisch — mit diesem Thema auseinandersetzen.
Kunst und Snobismus
1
Jane Austen begann ihren Roman Mansfield Park im Frühjahr 1813 und veröffentlichte ihn im darauf folgenden Jahr. Er erzählt die Geschichte der Fanny Price, eines schüchternen und bescheidenen jungen Mädchens aus armer Familie in Portsmouth, das zur Entlastung ihrer Eltern nach Mansfield Park geschickt wird, dem Landsitz ihres reichen Onkels Sir Thomas und seiner Frau Lady Bertram. Die Bertrams mit ihren vier Kindern rangieren in der ländlichen Hierarchie ganz oben, man spricht mit Respekt und Ehrfurcht von ihnen. Die halbwüchsigen Töchter Maria und Julia leisten sich teure Toiletten, jede hat ihr eigenes Reitpferd. Thomas, der älteste Sohn, ein aufgeblasener Hohlkopf, verbringt seine Zeit in Londoner Clubs, hält seine Freunde mit Champagner bei Laune und sieht ansonsten der goldenen Zukunft entgegen, die ihm beim Tod des Vaters Vermögen und Titel bescheren wird. Wiewohl Sir Thomas und seine Familie die Kunst des für die herrschende Klasse typischen Understatements perfekt beherrschen, vergessen sie nie (und lassen es auch sonst niemanden vergessen), wie weit sie doch über den anderen stehen und wie vornehm naturgemäß sei, wer sich im Besitz eines großen, mit Rotwild bestückten Landschaftsparks weiß.
Fanny lebt zwar mit den Bertrams unter einem Dach, verkehrt mit ihnen jedoch nicht auf gleicher Stufe. Die Zuteilung von Rechten und Privilegien liegt im Ermessen von Sir Thomas, ihre Cousins und Cousinen blicken auf sie herab, die Nachbarn betrachten sie mit einer Mischung aus Misstrauen und Bedauern, und fast die ganze Familie behandelt sie wie eine Gesellschafterin, die unterhält, deren Gefühl man zum Glück jedoch nie über Gebühr berücksichtigen muss.
Noch bevor Fanny in Mansfield Park eintrifft, lässt uns Jane Austen die Sorgen der Familie über die zusätzliche Belastung mithören. »Ich hoffe, sie quält nicht meinen Mops«, sagt Lady Bertram. Die Mädchen fragen sich, wie ihre Kleider beschaffen sein werden, ob sie Französisch kann und die Namen der englischen Könige und Königinnen kennt. Sir Thomas Bertram rechnet, obwohl er ja die Einladung ausgesprochen hat, mit dem Schlimmsten. »Wir werden wahrscheinlich erleben, dass vieles an ihr zu wünschen übrig lässt, und sollten uns auf grobe Unwissenheit gefasst machen, auf eine niedere Gesinnung und erschreckend primitive Manieren.« Seine Schwägerin, Mrs. Norris, legt Wert auf die Feststellung, dass Fanny keine von ihnen ist und nie sein kann. Sir Thomas pflichtet ihr bei: »Wir müssen ihr klarmachen, dass sie keine Miss Bertram ist. Ich sähe es gern, wenn Fanny und ihre Cousinen gute Freunde würden, aber sie dürfen sich nicht mit ihr gemein machen. Ihre
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