Staub Im Paradies
Familie seines Bruders in Kandy aufwachsen.«
»Aha«, antworte ich lahm, betrübt darüber, dass ich solche Dinge scheinbar immer als Letzter erfahre. Aber immerhin erfahre ich sie überhaupt – was soll ich also hadern? Stattdessen rührt es mich geradezu, dass Leonie für meine Arbeit so viel Verständnis aufbringt.
»Ich liebe dich immer noch sehr«, murmle ich zur Belohnung. »Du bist einfach die Beste, Leo, wirklich, ich würde dich gegen keine andere eintauschen!«
»Das wäre auch idiotisch, Fred«, meint sie staubtrocken und gibt mir anschließend einen flüchtigen Kuss auf meine Stirn.
»Es kommt übrigens noch schlimmer«, gestehe ich ihr daraufhin.
»Inwiefern?«
»Michael hat in Zürich ein Problem mit einem erstochenen Tamilen und möchte, dass ich rasch bei dessen Familie in Haputale vorbeischaue.«
»Überspann den Bogen nicht, Meister!«, mahnt sie mich.
»Wir wollten doch ohnehin dorthin, um den Dampfzug nach Kandy zu besteigen«, rufe ich ihr in Erinnerung.
»Kann ich mich morgen dazu äußern?«, gähnt sie.
»Ja, klar«, gebe ich von mir, streiche ihr sanft über die Schulter und drehe mich auf die andere Seite.
In diesem Moment dringt von außen ein unnatürlich heller Lichtschein in unser Zimmer. Für einen kurzen Moment ist es taghell, doch dann ist der Spuk schon wieder vorbei. Ein dazugehöriges Geräusch habe ich nicht wahrgenommen.
»Was war das denn?«, fragt mich Leonie irritiert. »Ein Scheinwerfer?«
»Vielleicht eine Sternschnuppe«, rate ich.
»Ach was!«, schnaubt sie. »Die sind doch niemals so hell!«
»Und falls doch? Hast du dir was gewünscht?«
»Baldiger Schlaf wäre nicht schlecht«, meint sie und seufzt leise vor sich hin.
Ich denke noch eine Weile darüber nach, was mein Hauptanliegen wäre, wenn ich einen Wunsch frei hätte. Ein Koffer mit zehn Milliarden Dollar? Oder doch eher der Weltfrieden?
Der Tod sämtlicher Malariamücken auf diesem Planeten und eine stabile Beziehung für meine Tochter, denke ich schließlich.
Wenige Augenblicke später bin ich eingeschlafen.
Mario muss ins Spital
Stunden später fanden sich Mario und die übrigen Mitglieder von Besondere Verfahren sowie die beiden Kollegen aus der Spezialabteilung 1 im großen Sitzungssaal der Kantonspolizei an der Zeughausstrasse wieder.
Der junge Tamile, Lathan Uruthiramoorthy mit Namen, hatte den Unfall am Ende seiner Flucht wie durch ein Wunder überlebt. Ein Kollege von der Autobahnpolizei, der praktisch gleichzeitig mit Mario und Gret an dem Unfallort eingetroffen war, hatte geistesgegenwärtig sofort den Feuerlöscher zum Einsatz gebracht, als der bis zur Unkenntlichkeit zerschmetterte Porsche Feuer fing. Mario war ihm zu Hilfe geeilt und hatte seinen Teil dazu beigetragen, dass der irre Raser nicht verbrannt war. Wenig später hatte die Feuerwehr den Mann aus dem Autowrack gesägt, dann war er von einem Rega- Helikopter unverzüglich ins Triemlispital geflogen worden.
»Der Typ hat unzählige Knochenbrüche, eine Milzquetschung, einen Leberriss, einen Kopfschwartenriss mit schwerer Hirnerschütterung und weiß Gott was sonst noch. Kurz gesagt: Er liegt im Koma«, berichtete Bea Tschannen ohne einen Funken Mitgefühl. »Es grenzt an ein Weltwunder, dass das Bürschchen noch lebt.«
Mario hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Gähnen zu verbergen. Es war Samstagabend 22.27 Uhr und der Tag war – wie bereits die ganze Woche – über alle Maßen anstrengend gewesen.
»Der Porsche gehört einem Gast der Seerose, der an der Bar saß. Lathan schnappte sich den Schlüssel einfach vom Tresen«, ergänzte Gret, der die Müdigkeit ebenfalls unverkennbar in ihr schmales Gesicht geschrieben stand. »Die Flucht geschah also völlig überstürzt und ungeplant.«
»Der Mann heißt, wie vorhin erwähnt, Lathan Uruthiramoorthy. Er stammt aus Trincomalee, einer größeren Stadt im Osten Sri Lankas, und kam vor elf Jahren als Fünfzehnjähriger mit seiner Familie als Asylant in die Schweiz«, trug der Riese Kollar seinen Teil zu der Unterhaltung bei. »Keiner der sechsköpfigen Familie – Lathan ist das älteste Kind – ist bisher in irgendeiner Art und Weise negativ aufgefallen. Zumindest nicht so, dass es aktenkundig wäre. Lathan hat noch zwei Schwestern. Die jüngere der beiden besucht zurzeit die Kantonschule Wiedikon und steht kurz vor der Matura, die andere arbeitet als Floristin im Seefeld. Lathans vierzehnjähriger Bruder geht in Thalwil in die Sekundarschule A, sein Vater arbeitet
Weitere Kostenlose Bücher