Staub Im Paradies
junge Arzt musterte ihn entgeistert und Mario nutzte die Gelegenheit, ihm seinen Polizeiausweis auf die schmale Brust zu klatschen.
»Wo ist dieser Lathan?«, wiederholte er sich. »Wissen Sie das? Oder kennen Sie wenigstens jemanden, der es weiß? Oder müssen wir in jedem einzelnen Zimmer selbst nachsehen?«
Ein paar Sekunden lang geschah erst einmal gar nichts. Der Assistenzarzt wirkte wie eingefroren und stand einfach nur da.
Die Krankenschwester erlöste ihn schließlich, indem sie Mario aufforderte, ihr zu einem Computer an der Rezeption des Notfallzentrums zu folgen.
»Wie heißt der Mann?«, fragte sie nüchtern.
Mario buchstabierte ihr den Namen, er konnte ihn inzwischen auswendig.
»Der liegt auf der Intensivstation«, meinte die Schwester, nachdem sie ein paar Tasten gedrückt hatte. »Vollkommen ausgeschlossen, ihn zu besuchen!«
»Wir wollen nicht zu ihm, sondern zu seiner Familie«, erklärte ihr Michael geduldig. »Unseren Informationen zufolge befinden sich die Leute immer noch hier im Haus.«
»Das bezweifle ich«, murmelte die Schwester, griff aber, ohne zu zögern, zum Telefon.
»Wo ist diese verfluchte Station?«, brauste Mario auf.
Die hilfsbereite Schwester fuhr erschrocken zusammen.
Aber Mario hatte es einfach satt. Alles, was er wollte, war, diese bekloppten Tamilen zu verhören und notfalls abzuführen, um endlich nach Hause in sein Bett zu kommen.
Michael klopfte ihm sanft auf die Schulter und bedeutete ihm, sich zu beruhigen.
Und natürlich hatte er recht damit, gestand Mario sich frustriert ein.
Staub erfährt Neuigkeiten
Ich erwache früh und schäle mich vorsichtig aus dem Bett, um Leonie nicht aufzuwecken. Wie Anna mir geraten hat, schüttle ich meine Kleider und Schuhe zuerst sorgsam aus, bevor ich sie anziehe. Angeblich verstecken sich manchmal Spinnen oder andere Ungeheuer darin.
Draußen ist es angenehm kühl. Das Forschungszentrum erwacht erst so langsam wieder zum Leben und ich beschließe, mich in die Teestube zu begeben und nachzusehen, ob schon Teile meiner Verwandtschaft auf den Beinen sind.
Bedauerlicherweise stoße ich nur auf den zerzausten Hugentobler. Der Professor sieht aus, als hätte er kaum geschlafen. Die grauen Augen in seinem sonnengegerbten Gesicht sind verquollen, seine Bewegungen fahrig.
»Guten Morgen«, begrüße ich ihn motiviert.
»Die Regierungstruppen haben Kokkadicholai eingenommen, einen wichtigen Stützpunkt der Rebellen im Osten«, spricht er mehr zu sich selbst als zu mir. »Angeblich sind die tamilischen Kämpfer unter Zurücklassung all ihrer Waffen geflohen.«
»Sagt das BBC World?«, frage ich ihn.
Er mustert mich erstaunt.
»Nein, der Regierungssender hat das gemeldet.«
»Stimmt es, dass Schütz’ Laptop verschwunden ist?«, will ich wissen.
Er zuckt ein paar Millimeter zurück und mustert mich argwöhnisch. »Keine Ahnung. Ich hab ihn jedenfalls nicht.«
»Na schön«, lasse ich ihn in Ruhe und wende mich ab.
Er humpelt aus dem Raum hinaus, um sich mit einem Halbliterglas Fruchtsaft auf seinem geliebten Klappstuhl niederzulassen.
Ich dagegen marschiere an den Tresen, wo mich eine mollige, junge Einheimische fragt, was ich gerne zu trinken hätte. Ich entscheide mich für Tee – wofür sonst? Das Kaffeetrinken habe ich aufgegeben in diesem Land und von Fruchtsaft bekomme ich Blähungen. Wenig später drückt mir die Frau ein heißes Glas in die Hand und ich überlege mir, ob ich mich zu Hugentobler an die frische Luft gesellen soll.
Ich setze mich dann aber doch lieber an einen der Tische im Innern des Raumes und puste in den Dampf, der aus meinem Teeglas aufsteigt. Als mir das zu langweilig wird, greife ich zu einer der herumliegenden sri-lankischen Zeitschriften. Ein knallig buntes Produkt, in dem ich naturgemäß kein einziges Wort deuten kann, das aber der Seitenaufteilung nach eine Fernsehzeitschrift sein könnte. Um Gottes willen! Fernsehen ist nun wirklich das Letzte, was ich vermisse.
Nach und nach betreten verschiedene Leute den Raum und lassen sich Säfte, Tee und höllisch scharfe, mit Zwiebeln und Chili gefüllte Teigküchlein reichen. Unter ihnen auch Pers Adrienne in weißen Leinenhosen und einem blau-grau gemusterten Hemd. Als sie bemerkt, dass ich sie freundlich anlächle, lässt sie sich mir gegenüber nieder. Ihre schwarzen Haare sind auch heute eine nicht zu bändigende Wirrnis, ein undurchdringliches Dickicht, ein spektakuläres Knäuel aus Locken und Spiralen, die ihr wie Korkenzieher um den
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