Staub Im Paradies
weiß nicht so recht«, zweifelte Gret, obwohl ihr klar war, dass sie mit ihrer Meinung quasi allein dastand und eigentlich alle gegen sich hatte.
Oder doch nicht? Glatzkopf Kollar äußerte sich nämlich unverhofft dahingehend, es reiche doch, wenn man nochmals einzeln mit den Leuten rede.
»Warum sollen sie unbedingt abgeführt werden wie Verbrecher?«, fragte er.
»Einschüchterungstaktik«, erklärte Michael. »Ich bin weiß Gott kein Hardliner, das wisst ihr genau. Aber etwas Druck scheint mir in diesem Fall durchaus angemessen. Die Uruthiramoorthys wissen irgendetwas, darauf könnte ich wetten.«
»Mit netten Sonntagsgesprächen verplempern wir nur unsere Zeit«, unterstützte ihn Bea.
Kollar signalisierte Gret achselzuckend, sie könne von seiner Seite keine weitere Unterstützung mehr erwarten. Von Bieri und Mario erhoffte sie sich sowieso nichts, die beiden dämmerten im Halbschlaf vor sich hin. Und Häberli war wieder einmal nicht da.
»Wir stehen unter Druck, Gret«, versuchte es Michael erneut. »Du hast die Sonntagszeitungen sicher gelesen.«
Sie nickte. Die Presse hatte den Fall zwar nur kurz abgehandelt, in den wenigen Zeilen aber doch herbe Kritik an der Arbeit der Abteilung geübt. Die NZZ am Sonntag hatte zudem genüsslich ausgeführt, dass die Tamilenszene für die Kantonspolizei offenbar ein Buch mit sieben Siegeln war. Was zwar absolut zutraf, den kantonalen Polizeivorstand Jucker aber dennoch nicht gerade glücklich gestimmt haben dürfte.
»Ich darf gar nicht daran denken, dass wir den Fall einfach der Stadtpolizei hätten überlassen können«, nörgelte Mario mit schläfriger Stimme.
Gret ärgerte sich maßlos über ihn. Warum quälte er sich überhaupt in den Sitzungssaal, wenn das alles war, was er beizutragen hatte?
»Du weißt doch genau, dass sogenannte ›komplexe Fälle‹ an die Kantonspolizei weitergegeben werden müssen! Das ist offiziell so geregelt«, fuhr sie ihn an.
»Sorry, aber was ist an diesem Fall denn komplex?«, widersprach Bea ihr sofort. »Ein Mord unter Tamilen, ein simpler Raubmord unter Umständen. Schwierig zu klären, zugegeben, aber wahnsinnig komplex ist das wirklich nicht, oder?«
»Ich bitte euch!«, ging Michael genervt dazwischen. »Der Fall liegt klipp und klar bei uns und wir wollen ihn doch gewiss alle lösen. Also, kassieren wir jetzt die Leute ein oder nicht?«
Gret realisierte, dass Michael sich soeben vor allem an sie direkt wandte. Und dass sie ihn jetzt wohl oder übel unterstützen musste.
»Aber nicht vom Arbeitsplatz oder der Schule weg«, insistierte sie. »Lass uns wenigstens warten, bis sie in die Mittagspause gehen.«
»Okay«, stimmte ihr Michael zu. »Teilen wir uns auf.«
Gret erhielt die jüngere Schwester, Bieri die ältere, Kollar den vierzehnjährigen Bruder Lathans. Michael übernahm den Familienvater und für Mario blieb die Mutter.
»Die kann ich aber wohl jetzt schon einsacken?«, fragte Mario unmotiviert. »Oder macht die auch Mittagspause?«
Michael bedachte ihn mit einem müden Blick aus seinen braunen Augen und erhob sich kommentarlos.
Gret tat es ihm nach und machte sich dann mit Mario zusammen auf den Weg in ihr gemeinsames Büro.
»Dir stinkt es im Moment gewaltig, oder?«, sprach sie ihren Kollegen an.
»Ich hatte letzte Nacht kaum Zeit, mich zu erholen«, rechtfertigte sich Mario. »Wir kamen erst um zwei Uhr morgens aus dem Spital und wenige Stunden später überprüfte ich bereits das Alibi von Lathans Eltern, was mich ungefähr fünf Stunden und so ziemlich jeden Nerv kostete! Und das an einem Sonntag, wohl gemerkt, an dem andere spazieren gehen.«
»Es regnete doch, Mario. Oder etwa nicht?«
»Na und?«
Er ließ sie einfach stehen und drückte sich in den Lift, dem gerade ein paar Kollegen von der Spezialabteilung 2 entstiegen. Vermutlich floh er in das Personalrestaurant, um einen Kaffee zu trinken und bei unbeteiligten Kollegen seinen Frust abzulassen.
Gret verstand Mario nicht. Unregelmäßige Arbeitszeiten gehörten nun mal schlichtweg zu ihrem Job. Sie selbst war gestern Morgen auch nochmals in die Seerose gefahren. Hatte geklärt, wie Lathan zu seinem Fluchtauto gekommen war, und dem Oberkellner Fotos der gesamten Familie Uruthiramoorthy übergeben. Den Nachmittag hatte sie dann zwar zu Hause verbracht, aber dabei sämtliche Akten zu ihrem aktuellen Fall durchgearbeitet, inklusive des Obduktions- und Spurensicherungsberichts. Erst als ihr die Papiere über den Kopf gewachsen waren, hatte
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