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Staub Im Paradies

Titel: Staub Im Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Solèr
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ich ein Haufen Dung. Sie zu verscheuchen ist vollkommen zwecklos. Jeder Versuch endet damit, dass sich kurzzeitig eine schwarze, brummende Wolke in die Luft erhebt, nur um sich Sekundenbruchteile später wieder auf mir niederzulassen.
    Ich mag Fliegen nicht. Sie stehen auf meiner persönlichen Liste der meistgehassten Insekten direkt hinter Mücken, Wanzen und Wespen.
    Ich hätte um elf mit meiner Familie in den Zug nach Kandy steigen sollen, denke ich. Stattdessen hocke ich jetzt allein in diesem muffigen Fliegenparadies und ersehne Verasinghes Rückkehr. Der strolcht gerade zusammen mit seinem hinkenden Kollegen durch das Dorf und versucht herauszufinden, wo die Nadesapilays zu finden sind.
    Michael in Ehren, aber eigentlich habe ich nicht die geringste Lust, mich um den Clan seines erstochenen Tamilen zu kümmern. Ich würde lieber gleich zu diesem dubiosen Müller fahren. Und Kommandant der Kantonspolizei will ich auch nicht werden, zum Teufel! Warum nur habe ich mich während der Ermittlungen in dem Fall des erschossenen Fernsehmoderators Schneider zu dieser Selbstmordübung überreden lassen?
    Ich lasse meinen Tee stehen, werfe einen zerfledderten, miefigen Zehnrupienschein auf den Tisch und flüchte mich ins Freie.
    Regen hat eingesetzt, es tropft aus dem tiefgrauen Himmel auf mein Haupt. Einen Regenschirm habe ich natürlich nicht dabei, ebenso wenig wie eine Regenjacke oder Gummistiefel. Über die Hauptstraße schießt braunes Wasser, von dem Wellblechdach der Teestube strömt ein Sturzbach. Der ganze Ort wirkt feucht, klamm und verwaist. Ratlos stehe ich vor dem Fliegenlokal und halte nach meinen beiden einheimischen Kollegen Ausschau. Leider vergeblich.
    Dann höre ich von weiter weg ein tiefes Röhren. Ich fokussiere den Punkt, an dem die Straße hinter einem Lagerschuppen verschwindet, und sehe kurz darauf ein mächtiges Gefährt um die Ecke tuckern.
    Es ist ein Militärlastwagen. Der Fahrer starrt konzentriert auf die Straße vor ihm, Gischt spritzt zur Seite. Auf dem Beifahrersitz glaube ich einen Weißen mit einem Schnauz im Gesicht zu erkennen. Hugentobler? Ich bin mir nicht sicher. Aber warum sollte der Professor und Klappstuhlfan gerade heute durch Haputale fahren, wenn ich auch hier bin? Noch dazu in einem Fahrzeug, das eindeutig der Armee zuzuordnen ist?
    Ich starre dem Lkw nach, bis er im Dunst verschwunden ist. Es war nicht Hugentobler, rede ich mir ein. Oder doch? Seit er mich vor drei Tagen kurz in meinem Krankenlager besucht hat, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Aber da hatte ich merkwürdigerweise kurz das Gefühl, er wisse irgendetwas, was für mich in Bezug auf Rainer Schütz interessant sein könnte.
    Was zur Hölle ist hier los?
    Nichts, beruhige ich mich. Zumindest nichts Dramatisches. Hugentobler darf letztendlich herumfahren, wo er will. Das Forschungszentrum liegt nahe, eine andere Straße zwischen den Siedlungen in den Bergen gibt es nicht, und Autostopp ist hier gang und gäbe.
    Trotzdem beschleicht mich plötzlich ein sehr ungutes Gefühl. Ob in diesem Wagen Hugentobler war oder nicht: Irgendetwas braut sich zusammen, ich spüre es. Etwas sehr Bedrohliches.
    Jemand stupst mich sanft in den Rücken. Ich zucke zusammen, als hätte mich der Sensenmann gestreift. Aber es ist nur Verasinghe, der mir breit lachend einen Regenhut aus Stroh in die Hand drückt und mich auffordert mitzukommen.
    »What a terrible weather«, nörgle ich.
    Aber Verasinghe meint nur lapidar, das ändere sich hier sehr rasch: In zehn Minuten scheine gewiss schon wieder die Sonne.
    So ist es dann auch tatsächlich. Der Nieselregen hört auf einen Schlag auf, just in dem Moment, als wir bei Rexons Eltern vorfahren.
    Es wird ein bedrückender Besuch. Die Leute wirken total eingeschüchtert, ganz offensichtlich fürchten sie sich vor den Polizeiuniformen meiner Kollegen. Die Nadesapilays sind Bergland-Tamilen, Nachfahren der Teesklaven, welche die Engländer Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts aus Indien herübergeschifft haben, um die äußerst arbeitsintensiven Teeplantagen zu bewirtschaften. Und sie sind ganz offensichtlich bitterarm. Das Mobiliar ist karg, der Fernseher vor dem zerschlissenen Sofa uralt.
    Wir erfahren von ihnen kaum mehr, als dass ihr Sohn Rexon auf einer nahen Plantage gearbeitet hat. Auf alle Fragen, wer diese Vidya sei, wieso Rexon in die Schweiz gereist sei und woher er das Geld dafür gehabt habe, ernten wir nur hilfloses Kopfnicken.
    Nach längerem Nachbohren finden wir immerhin heraus,

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