Staub zu Staub
noch ein Auge aus.“
Seine Nasenflügel flatterten, doch er schluckte eine impulsive Antwort herunter und fragte, als reiche er eine verbale Friedenspfeife: „Wie lange lebte Herr Preschke hier?“
„Zwei Jahre“, erwiderte Kristin trocken.
„Hatte er Verwandte?“
„Das weiß ich nicht.“
„Mir wurde gesagt, er war nicht ganz richtig im Kopf.“
Kristins grüne Augen sprühten Funken und für einen Moment fürchtete Mirjam fast um Schöbels strohblondes Haar.
„Nicht richtig im Kopf kann meinetwegen Ihre Schwiegermutter sein! Pater Preschke litt an einer alkoholbedingten Demenz im mittelschweren Stadium. Und da ich annehme, dass Sie null Ahnung haben, was das bedeutet: Es ist der Verfall geistiger Leistungsfähigkeit.“
„Das reicht. Sie können sicher sein, demnächst eine Anzeige wegen Beamten-beleidigung zu bekommen.“
„Gerne. Toilettenpapier kann ich immer gebrauchen!“
Der Beamte kniff seine Lippen zusammen. Erst nach einer Weile brummte er: „Demenz also. Wie sind denn die Symptome dieser Demenz?“
„Vergesslichkeit, Desorientierung, Sprachstörungen, Vernachlässigung der Hy-giene. Kristin zögerte. „Wahnvorstellungen. Antriebslosigkeit.“
Er kratzte sich mit dem Kugelschreiber an der Nasenspitze. „Hatte er schon diese Demenz, als er hierher kam?“
„Im Anfangsstadium.“
Mirjam mischte sich ein. „In den letzten vier Monaten ist es schlimmer gewor-den. Er hat angefangen, aus der Bibel zu zitieren. Da waren: Verkauft habe ich ihn für dreißig Silberlinge; er ist gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen.“
„Wahnvorstellungen also“, murmelte der Beamte, während er weiter notierte. „Hat er jemanden konkret erwähnt? Hat er Besuche gehabt?“
„Hören Sie doch mal zu!“ Mirjam fasste ihn am Oberarm. Unter seinem eisigen Blick zog sie die Hand zurück. „Vielleicht ist es wichtig. Er hatte Angst, er wollte etwas damit sagen. Und die Vier Jahreszeiten! Er hat immer wieder ‚Vier Jahres-zeiten’ wiederholt.“
„Ich hab schon verstanden, Frau Belzer. Also, noch mal: Hat er Besuche ge-habt?“
„Nein“, giftete Kristin zurück. „Nur ein Priester war heute bei ihm.“
„Ein Kollege aus alten Zeiten?“
„Woher sollen wir das wissen, he? Wir gehören dem Club nicht an.“
„Ein Priester.“ Er seufzte, diesmal nur müde, und schaute zu Mirjam. „Worüber haben sie denn geredet?“ Sein Blick kam ihr dennoch lauernd vor.
Kristin schnaubte. „Denken Sie, wir hängen hier mit den Ohren an den Türen?“
„Ist ja schon gut.“ Eine Weile blätterte er in den Notizen. „Okay. Das war’s dann fürs Erste. In den nächsten Tagen kommen Sie bitte auf dem Revier vorbei und geben Ihre Aussage zu Protokoll. Auf Wiedersehen.“ Er drehte sich zur Tür.
„Moment mal“, donnerte Kristin. „Und was wird aus Mirjam? Die Mörder haben sie gesehen! Die werden sie umbringen wollen.“
„Na, übertreiben Sie nicht. Wir sind hier nicht bei Agatha Christie, he?“, ahmte er sie nach. „Wenn wir jeden, der irgendetwas gesehen hat, ins Zeugenschutz-programm aufnehmen würden, wäre die Polizei schon längst pleite. Guten Abend noch.“ Er nickte zum Abschied und ging.
„Mistkerl“, zischte Kristin.
Zum Glück konnte er es nicht mehr hören. Mirjam rieb sich über das Gesicht. Und was jetzt? In welche Ecke sollte sie sich verkriechen? Die Polizei – ihr Freund und Helfer – machte nicht gerade den Eindruck, sich um sie sorgen zu wollen. Der Ärger über Kristin schwoll in ihr an.
„Du hättest ihn nicht anfahren sollen.“
„Ach nein? Glaubst du, ihm würde es gefallen, wenn jemand seine Mutter oder seinen Vater als ‚nicht richtig im Kopf’ bezeichnen würde? Pah! Der Fall kümmert ihn einen Scheißdreck.“ Sie schnippte mehrfach mit den Fingern. „Was hast du da über den Geiger erzählt, bevor dieses Arschloch von Kommissar reinplatzte?“
Mirjam deutete auf den CD-Stapel. „Maximilian Helmgren. Er ist überall als Solist aufgelistet. Aber das muss nichts heißen.“ Sie überlegte kurz. „Weißt du zufällig, was Inter spem et metum bedeutet?“
„Inter was für Spam?“
„Spem. Et metum. Was heißt das?“
„Klingt nach Latein. Ein Slogan vielleicht?“ Kristin grinste. „Für Öko-Römer. Atomkraft: nein danke!“
Mirjam war nicht nach Lachen zu Mute und diese unreife Art ärgerte sie. „Lass das bitte.“ Eher zu sich selbst murmelte sie: „Wie wenig ich doch über ihn wusste. Ein Priester. Und dann -
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