Staub zu Staub
aufpassen, was du sagst?“ Sie nahm Kristin in den Arm und wiegte sie. „Scht. Beruhige dich. Hör nicht auf ihn.“
Daniel tigerte durch das Zimmer, die Hände in die Hüften gestemmt. „Verdammt. Wieso habt ihr mir vorher nichts gesagt? Wieso musstet ihr so einen Mist bauen?“
Kristin schluchzte an Mirjams Brust. „Sie sagten, sie werden sie töten, wenn ich jemandem davon erzähle“, stotterte sie.
Mirjam streichelte ihr durch das Haar und sah zu Daniel auf. „Du musst uns helfen.“
„Helfen? Wieso muss ich eigentlich immer jemandem helfen? Und wer hilft mir?“
„Du weißt selbst, dass Max deine einzige Chance ist. Wir müssen ihn und Frau Wiebke retten!“
„Ich glaube, es ist an der Zeit, dass ich mir selbst helfe.“ Er nahm das Handy, wählte eine Nummer und wartete einen Augenblick. „Ah, Hallo Paps. Ja, ich weiß … warte, was ich dir jetzt sagen will, ist wichtig. Ich verspreche, es wird dir egal sein, ob ich dich angemessen anrede oder ob du beim Bischof bist. Tilse hat Jonathan, allerdings hat er hier etwas vergessen. Hm? Er hat dir nichts davon erzählt? Interessant. Nun, wie auch immer. Ich habe hier die Luzzatto-Thora.“
Mirjam ging auf ihn los. „Das kannst du doch nicht machen“, zischte sie, doch Daniel stieß sie zurück.
„Und außerdem eine Neuigkeit: Jonathan ist kein Sohn Gottes. Er ist ein Engel. Ja, ich weiß das ganz genau. Ja. Was für einer? Metatron, ein Seraph. Du willst die Thora vermutlich haben, nicht wahr?“ Er nahm die Rolle zusammen mit dem Notizblock. „Nein, ich bin noch in Frankfurt und brauche etwa sechs Stunden Fahrt. Ja, schön. Okay. Klar bring ich sie dir. Ich melde mich! Bis bald.“
Kapitel 31
Tilse stieg von hinten in den Transporter, den er für den Trip nach Frankfurt gemietet hatte. Die staubige Luft kitzelte seine Nase und es roch nach Öl. Das Auto schwankte, während er zur anderen Wand ging und sich in eine Ecke setzte. Durch die seitliche Türöffnung lugte Schöbel herein.
„Wir hätten Walters und die beiden Mädels beseitigen sollen. Sie wissen zu viel.“
Allein Schöbels Stimme erweckte Abscheu in ihm. Diese unbeschwerten Töne, ganz gleich, ob er mit einem Freund plauderte oder jemandem ein Auge herausriss.
„Um die anderen kümmern wir uns später“, erwiderte Tilse. „Fahren Sie!“ Er stellte den Rucksack ab und musterte Jonathan. Die blasse Haut wirkte fast durchsichtig, unter den Augen lagen tiefe Schatten. Die Lippen hatten einen leicht bläulichen Ton angenommen. Nur schwach hob und senkte sich seine Brust.
Warum hast du das zugelassen?, fragte Tilse in Gedanken. Warum hast du deine Verräter nicht niedergestreckt? Dafür blieb dir doch genug Zeit.
Schöbel klopfte auf die Wagenseite, bevor er die Schiebetür zuwarf und den Innenraum ins Dunkel tauchte. Kurze Zeit später holperte der Transporter von der Bürgersteigkante auf die Straße. Tilse lehnte seinen Kopf gegen das kalte Metall. Fünf bis sechs Stunden standen ihm bevor, im Halbdunkel, allein mit Jonathan. Auch wenn dieser an Händen und Füßen gefesselt vor ihm lag, war ihm unbehaglich. Der kleine Raum drückte auf ihn, raubte ihm die Bewegungsfreiheit. Hier gab es keinen Unterschlupf, in dem er sich vor Jonathans Zorn hätte verstecken können, kein Fenster, das ihn hätte retten können. Ohne den Blick von dem Gefangenen abzuwenden, öffnete er den Rucksack. Oben auf seinem zusammengerollten Pullover lag die Browning. Er strich mit seiner Hand darüber, doch auch die Waffe brachte ihm keine Sicherheit.
Es schien, als beobachte Jonathan ihn unter den geschlossenen Lidern. Was, wenn Friedmann doch Recht hatte? Wenn ein göttliches Wesen vor ihm lag, der Inbegriff der Vollkommenheit und Reinheit?
Etwas zwang ihn, die Hände zu falten, soweit es ihm der eingegipste Arm erlaubte, und den Kopf in Demut zu neigen. Er lauschte. Sein Geist dehnte sich aus, über die Grenzen des Körpers hinweg. Jegliches Geräusch trat zurück und er hatte das Gefühl, im Weltall zu schweben, taub, abgestumpft, tot.
Sein Handy piepte. Tilse fiel aus seiner Trance. Dem monotonen Rauschen der Reifen nach zu urteilen fuhr der Wagen über die Autobahn. Aus der Seitentasche des Rucksacks holte er das Handy und las die SMS: ‚Ich habe neue Infos über Jonathan. Bin beim Bischof, wir sprechen uns morgen. Friedmann.’
Tilse lächelte schwach. Also hatte der alte Mann es sich doch anders überlegt und wollte ihn zurück ins Boot holen. Zu spät. Morgen würde alles vorbei
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