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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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Nicht wegen des Anrempelns von vorhin. Wegen des Schmetterlings, der ihr anvertraut worden war und den sie zerstört hatte. Dieselben Blicke trafen sie von überall her. Von der Dame hinter der Theke in der Lobby, von einem älteren Paar im Aufzug, von dem Pagen, der ihr im Flur entgegen kam. All diese Menschen sahen den Falter in ihrer Hand und brannten Schuld in ihr Gewissen, die sie von innen zerfraß.
    Die Tür zu ihrem Zimmer stand halb offen. Weinen drang heraus, laut und spasmisch.
    Kristin kauerte in einer Ecke, drückte ihre Stirn gegen die Knie und heulte sich die Seele aus dem Leib. Mirjams Blick schweifte durch den Raum. Fremde, schmutzige Fußabdrücke auf dem Teppich. Max fehlte. Etwas schraubte ihre Brust zusammen. Sie hatte ihn zurückgelassen, obwohl sie wusste, dass er seinen Feinden ausgeliefert war. Sie hatte Angst gehabt, ohne nachzudenken gab sie sich dem ersten Impuls hin, der sie erfasste. Wegrennen. Das konnte sie am besten. Vor etwas wegrennen.
    Mirjam ließ sich auf dem Bettrand nieder und betrachtete das tote Insekt in ihrer Hand. Sie wünschte, sie würde Kristin gegenüber Hass empfinden, aber sie hasste nur sich selbst. Nicht Kristin trug die Schuld an ihrem Sündenfall. Nicht Max. Sie allein hatte alles verraten, was ihr lieb und teuer war.
    Kristin hob den Kopf. Ihr Gesicht ähnelte einer zerflossenen Hefemasse. Nur mit Mühe gelang es ihr, durch heftige Schluchzer Worte hervorzubringen.
    „Sie haben gesagt, sie lassen sie frei. Sie haben es versprochen!“
    „Wen?“
    „Meine Mama.“ Ein neuer Weinkrampf erschütterte sie. „Sie wollten Max im Tausch gegen meine Mama. Sie haben ihr wehgetan.“ Mit der Fußspitze stieß sie ihr Handy von sich. Das Telefon rutschte über den Teppich.
    Vorsichtig legte Mirjam den Schmetterling auf den Nachttisch und nahm den Apparat vom Boden auf. Das Display zeigte Fotos von Frau Wiebke: Das verängstigte Gesicht mit einem Klebeband über dem Mund; Panik und Schmerz in grünen, weit aufgerissenen Augen; einen blutigen Finger mit einem weggerissenen Nagel.
    Mirjam schluckte, drückte die Bilder weg und warf das Handy mit dem Display nach unten auf das Bett.
    „Wieso ist sie nicht zu ihrer Freundin gegangen?“, heulte Kristin. Sie versteckte ihren Kopf in den Händen, wirkte klein und elend in ihrer Ecke. „Wieso musste das ausgerechnet ihr passieren? Sie hat doch schon genug ertragen müssen!“
    „Die letzten Wochen haben uns alle auf die Probe gestellt. Und wir alle haben versagt.“ Mirjams Blick schweifte zu der Thora neben dem Notizblock mit Max’ Handschrift. Seine Buchstaben sahen verschnörkelt aus und leicht nach links gekippt.
    Was war richtig? Was falsch? Die Heilige Schrift barg die Antwort. Doch es gebührte den Menschen nicht, die Wahrheit zu kennen, sondern nach ihr zu suchen. Entscheidungen zu treffen. Fehler zu begehen und sie zu korrigieren. Mirjam hörte jemanden ins Zimmer kommen.
    „Was ist hier los?“ Daniels Stimme klang geschwächt. Er bemerkte Kristin in der Ecke, löste sich vom Türrahmen und eilte zu ihr. „Hey, was ist meinem Schatz passiert? Warum weinst du?“
    Er drückte sie an sich, streifte ihr durch das Haar, küsste ihr tränennasses Gesicht. Kristin klammerte sich an sein Hemd und weinte. Mirjam nahm das Handy. Sie warf es Daniel in den Schoss.
    „Deine Sekte hat Kristins Mutter entführt.“
    Sein Gesicht erblasste. Während er die Bilder durchsah, wich immer mehr Farbe aus seinen Wangen. „Schöbel. Dieses Arschloch. So etwas kann nur er anrichten. Was verlangen sie?“ Er sah sich um. „Wo ist Max? Wir müssen es ihm sagen. Er wird schon wissen, was zu tun ist.“
    Mirjam hielt inne. Zum ersten Mal hatte Daniel ihn bei diesem Namen genannt. „Nach ihm haben sie verlangt. Und sie haben ihn bekommen.“
    „Was?“ Langsam richtete er sich auf. „Was zum Teufel habt ihr getan? Seid ihr wirklich so bescheuert oder tut ihr nur so?“
    Kristin heulte noch lauter auf, kippte auf die Seite und schlug mit der Faust auf den Boden ein. Sie zitterte am ganzen Körper, schrie etwas Unverständliches. Daniel betrachtete die Heilige Schrift auf dem Boden.
    „Ist sie das, diese Luzzatto-Thora?“
    Mirjam nickte.
    „Und die wollten nur ihn haben? Nicht die Schrift? Dann muss es Tilse gewesen sein. Mein Vater hätte auch nach der Thora verlangt. Scheiße. Dann ist die Frau bestimmt schon tot.“
    Kristin schrie hysterisch auf und wälzte sich auf dem Boden. Mirjam schnappte nach Luft.
    „Kannst du ein wenig

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