Staub zu Staub
kommen, kann das übel enden. Ich habe keine Lust, Ihre Überreste in einer Tupperdose an Ihre Familie zu schicken.“
„Ich habe keine Familie, die an meinen Überresten interessiert wäre“, knurrte Schöbel, ließ aber von Jonathan ab.
Tilse versteckte die Waffe unter dem Pullover und schwang sich den Rucksack über die Schulter. Als er am Tor klingelte, musste er mehrere Minuten warten, bis das Schloss rasselte. Die Tür schwenkte nach innen.
„Führ mich zum Abt“, befahl er dem Mönch.
Der Bruder neigte den Kopf, wodurch ihm seine Kapuze noch weiter über das Gesicht rutschte, und versteckte seine Hände in den Ärmeln der Kutte.
„Niemand außer mir ist hier.“
„Ah ja? Wo sind denn alle?“
„Auf unserer Gebetslichtung um zu fasten, zu beten und im Einklang mit der Natur zu Gott zu streben. Aber wenn Sie wünschen, rufe ich meine Brüder zurück.“
Tilse straffte innerlich die Schultern und lächelte gönnerhaft. „Nicht nötig.“ Er winkte Schöbel heran, der Jonathan auf die Beine zerrte und zum Tor schleppte. „Bringen Sie ihn in den Keller.“ Er wandte sich dem Mönch zu. „Und Sie geben mir alle Schlüssel vom Kloster.“
Zu seiner Verwunderung gehorchte der Bruder sofort.
Für alle Fälle inspizierte Tilse das Kloster, fand aber nur leere Räume vor und die akribisch aufgeräumten Wohnkammern. Als er die Treppe in die Halle hinunterlief, stand der Bruder neben der Eingangstür, zu einer Statue erstarrt.
„Gehen Sie in Ihre Klause“, befahl Tilse. „Und bleiben Sie dort, egal was geschieht.“
Geräuschlos verschwand der Mönch hinter einer der Türen. Tilse lauerte kurz. Fast erwartete er, dass jemand aus einem Hinterhalt springen, vielleicht sogar Friedmann persönlich. Doch die Halle wob nur Grabesstille um ihn und er stieg die Wendeltreppe in den Keller hinab.
Von weitem sah er das Licht flackern. Er kramte von ganz unten eine Packung mit einer Glühbirne aus dem Rucksack, die er sich schon vor Tagen besorgt hatte. Mit dem Gipsarm gelang es ihm nicht sofort, die Lampe herauszudrehen und die neue in die Halterung zu schrauben. Als sich über seinem Kopf das grelle Licht ergoss, stieg in ihm Triumph auf. Er schwang sich den Rucksack wieder über die Schulter und marschierte voran. Nicht einmal die Enge des Ganges konnte sein Gemüt trüben.
Die Tür stand offen. Der Kommissar hatte einen Stuhl heruntergebracht. Jona-thans Hände waren hinter der Stuhllehne gefesselt, die Fußknöchel mit Kabelbinder an die Stuhlbeine gebunden. Schöbel stand davor und rauchte. Der blaue Dunst schwebte unter der niedrigen Decke.
Jonathans Blick traf Tilse, sobald er die Schwelle überschritt. „Eine Lampe auszutauschen reicht nicht aus, um Licht in die Dunkelheit zu bringen.“
Schöbel zog an seiner Zigarette, klemmte die Kippe zwischen Daumen und Zeigefinger und machte eine ausschweifende Handbewegung. „Ich kann ihn auch knebeln.“
Das glühende Ende der Zigarette streifte Jonathans Wange, der nur unmerklich zuckte. Tilse schleuderte seinen Rucksack in die Ecke.
„Jonathan, du hast dich kein bisschen verändert, wie ich sehe. Bist wieder gefesselt, aber deine Arroganz reicht für uns alle.“
„Dafür haben Sie sich verändert.“
Der Blick der schwarzen Augen schraubte sich in seine Seele, unendlich überlegen, als wäre es Tilse, der an einen Stuhl gebunden war. Nein, jetzt durfte er keine Unsicherheit zeigen. Schon gar nicht vor Schöbel, der wie ein Schiedsrichter die Konfrontation beobachtete.
„Verändert? Inwiefern?“
„Ich kann Ihre Panik fühlen.“
Die Gelassenheit in der Stimme ließ Tilse innerlich aufkochen. Er schlug Jonathan ins Gesicht. „Ich habe keine Angst vor dir!“ Auf seinen Fingerkuppen blieb etwas Blut haften. Ein Eisklumpen rutschte in ihm herunter und legte sich schwer in seinen Magen. Verdammt! Wie konnte er sich so beeinflussen lassen! Schweiß trat auf seine Stirn. Hastig wischte er die Finger am Pullover ab und sah sich vor seinem inneren Auge in Krämpfen auf dem Boden wälzen.
„Keine Sorge“, Jonathans sanfte Stimme wog ihn dahin, „ich bin nicht hier, um Sie zu töten.“
Las er seine Gedanken? Tilse hatte das Gefühl, als würden fadendünne Tentakel in ihn eindringen und durch seine Adern kriechen, hoch zum Hirn.
„Ach ja?“ Noch immer scheuerte er seine Hand am Pullover, auch wenn nichts mehr zu sehen war. „Warum bist du dann hier?“
„Um den Willen meines Herrn zu erfüllen.“
„Erzähl … erzähl mir nicht, du
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