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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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sein Inneres. Bedauerte er sich? Wagte er es wirklich, seine Bestimmung zu bedauern?
    „Gib uns deine Gnade! Verzeih uns!“
    Gedanken und Gefühle zerbarsten unter der schrillen Stimme und die Abge-stumpftheit seines Wesens gewann die Oberhand. „Nicht mich sollst du anflehen. Ich habe euch gerufen und den rechten Weg gewiesen. Doch ihr nehmt mich nicht an.“
    Der Statthalter sank auf eine Steinbank. Ein rotes Samtkissen fiel zu seinen Füßen. Er trat es in die Ecke. „Wann wird es geschehen?“
    „Ich komme wieder. Zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.“
    Schwer hob der Präfekt den Kopf. „Aber … aber …“
    Er blickte dem Statthalter in die Augen. Tief in der Seele des Mannes sah er den göttlichen Funken flimmern. Er berührte die Schulter des Römers und zuckte zusammen, als sei er von einer Wüstenschlange gebissen worden.
    Schreie der Sterbenden überschütteten ihn. Graue Bilder liefen vor seinem inneren Auge ab. Je tiefer er blickte, desto deutlicher sah er Menschen – Samariter – die unter Soldatenschwertern zu Boden fielen und sich in Todeskrämpfen auf dem heißen Sand wanden.
    Er wich von dem Mann zurück, um dem brennenden Gift der Sünde zu entkommen. Nichts würde sich ändern. So flüchtig war die Reue.
    „Es war eure Entscheidung.“ Er streckte dem Statthalter die Hände entgegen. „Bring es zu Ende.“
    „Nein. Ich kann es nicht. Ich kann es einfach nicht.“
    „Hörst du nicht, wie hart sie mich anklagen?“ Mit dem Kopfnicken deutete er zum Fenster. „Du hast keine Wahl, Präfekt von Judäa.“
    Eine Weile bewegte sich der Mann nicht, doch die Meute draußen tobte und tobte. Nur eines konnte sie stillen.
    Langsam erhob sich der Präfekt. „Du hast Recht. Ich habe keine Wahl. Aber du. Oder liegt dir nichts mehr an deinen Jüngern? Was wird aus ihnen? Oder aus dieser Frau, die dir überallhin folgt – Maria, nicht wahr?“
    Maria, wie konnte dieser Römer ihren Namen mit seiner Zunge beschmutzen? Er würde fallen für sie. Er würde alles aufgeben, wenn sie stark genug gewesen wäre, ihn seinem Los zu entreißen. Nein. Es musste zu Ende gehen. Zu Ende, solange er es noch ertragen konnte.
    „Es geht nicht darum, was ich will.“ Seine Stimme klang leise. „Ging es nie.“
    „Du bist gekommen, um Verderben zu bringen. Sogar denjenigen, die dich lieben.“ Der Präfekt schüttelte den Kopf und winkte die Wache heran. „Fesselt ihn.“
    Als sie auf die Gabbata, die Empore vor dem Palast, traten, grölten die Menschen noch lauter auf.
    Vergib ihnen
, bat er in Gedanken und blickte zum Himmel,
denn sie wissen nicht, was sie tun
. Eine Schäfchenwolke verdunkelte die Mittagssonne und er vernahm die Antwort seines Herrn. Alle. Oder keiner.
    Der Statthalter des Tiberius erhob die Hände. Lange stand er so, bis die Menge verstummte und nur ein Gemurmel über den Platz raunte.
    „Ihr habt diesen Mann zu mir gebracht“, sprach der Präfekt, „als einen, der das Volk aufhetzt. Ich habe ihn verhört und keine Schuld an ihm gefunden. Herodes ebenso, denn er hat ihn uns zurückgesandt. So erhört mich: Er hat nichts getan, was den Tod verdient.“
    Das Raunen steigerte sich zum Gebrüll. Die Menschen schwangen die Fäuste durch die flirrende Luft, stampften mit den Füßen auf den Boden und wirbelten Staub auf. Verzerrte Gesichter, von Wut geblendet.
    Durch das Gedränge bahnte sich eine zierliche Gestalt ihren Weg. Von allen Seiten geschubst und gezerrt, kämpfte sie sich immer weiter voran. Jemand riss an der grünen Palla, in die sie gehüllt war. Der Stoff rutschte ihr vom Kopf und die dunkle Mähne breitete sich über ihre Schultern aus. Die Frau blieb stehen, wickelte sich das Tuch um und erhob ihr blasses Gesicht. Trotz funkelte in ihren tee-farbenen Augen.
    Er schloss die Lider, um ihrem Blick zu entkommen. Das Geschrei der Meute, die stickige Hitze wichen zurück.
    Er fühlte die Nacht. Die Kühle umspielte sein Gesicht, eine Brise fuhr raschelnd durch die Zweige. Das Gras kitzelte seine Füße und er bewegte die Zehen in den Sandalen, um das Jucken abzuschütteln. Am Ende der Olivenbaum-Allee erahnte er die Silhouette des halb zerfallenen Ölkelters, der dem Garten seinen Namen gab: Gethsemane. Dahinter zeichnete sich der Ölberg in der Dunkelheit ab, über dem der Mond stand. Welch Frieden verbreitete diese menschenlose Nacht.
    In der Nähe knackste ein Ast.
    Eine Gestalt trat hinter den Stämmen hervor. Sie verharrte unter einem Oliven-baum, wirkte fast wie ein

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