Staub zu Staub
ich ihn nicht verraten
.
„In der letzten Zeit hat er sehr verwirrt geredet.“ Sie zupfte an ihrer Strickjacke, um das Beben ihrer Finger zu verbergen. Ein Faden löste sich. „Ich kann mich nur an einzelne Phrasen erinnern: Haltet auch ihr euch bereit - Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet; Er ist gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen.“
Der Geiger nickte. „Lukas’ Evangelium, Kapitel 12, Verse 40 und 49.“
Kristin nahm ihre Tasse auf den Schoß und einen Keks von der Kristallplatte. Sie knabberte an dem Gebäck.
„Hm, sind die lecker!“ Krümel rieselten auf ihre Hose und den Teppich. „Wenn du auch noch kochen und backen kannst, dann kommst du auf der Liste meiner persönlichen Traummänner nach ganz oben.“
„Aber sicher.“ Er lachte. Die Brösel schienen ihn nicht zu stören. „Zu Weih-nachten kann ich vorzüglich eine Gans einäschern. Und wenn ich es auf der Liste noch vor Brad Pitt schaffe, dann nenne ich dir sechsundzwanzig Möglichkeiten Wasser anbrennen zu lassen.“
Kristin stimmte in sein Lachen ein. „Kennst du die Bibel eigentlich auswendig? Bist du Katholik oder so?“
„Oder so. Protestant.“
Mirjam ließ von ihrer Strickjacke ab. Ein Christ. Aber wer ist schon perfekt? Sie konnte nicht leugnen, gehofft zu haben, er sei jüdisch. Vielleicht um diese Verbun-denheit zu ihm zu erklären. Verrückt. Was bildete sie sich ein?
„Und worum geht es in diesem zwölften Kapitel von Lukas?“, wollte Kristin wissen.
„Jesus hält eine Predigt. Das mit dem Menschensohn bezieht sich auf ihn und seine Wiederkunft. Ausführlicher hat darüber Matthäus in den Kapiteln 24-25 geschrieben.“
„Menschensohn?“ Kristin stopfte einen weiteren Keks in den Mund. „Iff dafte, er war Gotteffohn.“
Mirjam tippte sich an die Stirn. „Natürlich!“ Ihr wurde schon schlecht, wenn sie diesen Blödsinn mit der Dreieinigkeit hörte. Sie zerrte an dem losgelösten Faden, der sich immer weiter verlängerte.
Kristin spülte ihren Mund mit Kaffee. „Und was hat es mit dieser Wiederkunft auf sich?“
„Das jüngste Gericht. Jesus kommt auf die Erde zurück und wird über die Menschen richten, die Gesegneten von den Gottlosen scheiden.“
„Wie jetzt?“ Kristin wischte sich die Krümel von den Lippen. „Und Feierabend für die Menschheit?“ Ihr erheiterter Blick schweifte von Mirjam zum Geiger. „Ganz ehrlich, an eurer Stelle hätte ich auf seine Wiederkunft keinen Bock.“
„Er war kein Messias“, knurrte Mirjam und riss den Faden ab. „Und es gibt weder irgendeine Wiederkunft noch das jüngste Gericht!“ Sie rollte ihn zu einem Kügelchen und schnippte es auf die Glasoberfläche.
„Doch“, erwiderte der Geiger. „Der Teufel wird vor dem Ende der Welt noch mal entlassen, danach findet der letzte Kampf zwischen Gott und Teufel statt, die Gerechten kommen an die Seite des Herrn und die Sünder in die Hölle. Das steht im Neuen Testament.“
„Ob es mich interessiert, was in deinem Testament steht?“
Mit einem Knall stellte Kristin ihre Tasse ab. „Jetzt komm mal runter, meine Liebe.“
Mirjam achtete nicht auf sie. „Das ist doch Schwachsinn. Hast du dich mal gefragt, wie der allmächtige Herr einen Widersacher haben kann? Jemanden, gegen den er kämpfen muss? Lächerlich!“
Er beobachtete sie mit einem Gesichtsausdruck, den sie nicht zu deuten vermochte und der sie dennoch zwang, die Luft anzuhalten. Mirjam schaute auf die goldenen Lettern. Sie fühlte sich seltsam unrein und …
… ich verginge von seinem stärkeren Dasein
.
Noch nie wirkte ein Gedicht so eindringlich auf sie.
„Bist du gläubig?“ Seine Stimme klang sanft und ruhig.
„Das geht dich nichts an“, brummte sie, auch wenn ihr Zorn sich bereits verflüchtigt hatte.
Er seufzte. „Das stimmt wohl.“
Mirjam biss sich auf die Unterlippe. Sie fühlte sich besser und dafür schämte sie sich, als hätte sie ihn als Blitzableiter für das Negative in ihr missbraucht.
„Tut mir Leid“, stammelte sie und suchte seinen Blick. Doch er sah sie nicht an und es versetzte ihr einen Stich ins Herz. Was würde sie darum geben, den Faden der Vertrautheit zu ihm wiederzufinden. Sie schaute auf das winzige Kügelchen auf dem Tisch.
Kristin beugte sich vor, was das Sofa mit einem Ächzen quittierte. „Es tut mir auch Leid. Sie meint es nicht so. Hör zu, du würdest uns doch nicht hierher ein-laden, nur um uns zu sagen, dass der Spruch von irgendeinem Jesuiten war.
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