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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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Wortschatz. Plötzlich erfasste er die Tragweite seines Gedankens. Vielleicht war der Junge gar kein Messias, vielleicht war er bloß ein verrückter Scherz der Natur? Die Erklärung kam ihm so einfach, so plausibel vor.
    „Woher wissen Sie so viel über die Zellen des Jungen?“
    „Im Krankenhaus wurde sein Blut untersucht, doch der dafür zuständige Arzt wollte die Sensation allein erforschen. Bis der Dummkopf sich eingestanden hatte, mit seinem Latein am Ende zu sein, war der Junge schon aus dem Krankenhaus und die Blutproben – unbrauchbar. Der Arzt hat es also weiterhin keinem gesagt. Wir konnten ihn – nun – überzeugen, uns seine Forschungsnotizen zu überlassen. Aber kommen wir zur Achillesferse unseres Supermenschen.“
    „Interessant. Er hat eine?“
    „Auch ein Körper mit Sonderausstattung funktioniert nach bestimmten Regeln. Diese ganze Zellentwicklungssache fordert eine Menge Energie. Hat er nicht genug, bricht er zusammen. Dann braucht er entweder Zeit, wie vermutlich bei seinem Koma, oder Dextrose.“
    „Dextrose?“
    „Auch Traubenzucker oder Glucose genannt. Das muss einer der wichtigsten Bestandteile seiner Ernährung sein. Vermutlich verbraucht Ihr Geiger auch eine Menge an einfachem Zucker. Das ist ein Disaccharid und besteht aus Glucose und Fructose.“
    „Moment, ich dachte, er braucht das nur für die Heilungssache und so.“
    „Dafür ganz extrem. Aber schauen Sie seine Gehirntomografien, EEGs und so weiter an. Es ist der …“
    „Hammer, vermutlich.“
    Der Dicke schmollte eine Weile. „Sagen wir es mal so. Er ist der Einzige, der sich rechtmäßig beschweren kann, von Idioten umgeben zu sein. Wie genau sein Kopf funktioniert, kann ich Ihnen nicht sagen, aber im Krankenhaus wurden ein paar Tests durchgeführt. Er scheint mehr Informationen zu verarbeiten als im Normalfall. Und er ist unglaublich lernfähig. Sein Geigenspiel – alle nahmen an, er konnte es vorher. Ich sage: Blödsinn. Hätte er damals ein Cello in dieHände bekommen, wäre er heute ein Cellist. Was den Energiebedarf angeht: Ein durch-schnittliches Gehirn benötigt täglich etwa 140 Gramm Glucose. Seins kann man mit einem Ferrari vergleichen: ein Luxusmodell, aber der Spritverbrauch – oh je.“
    „Und bei all seinen Superkräften hat er Amnesie?“
    „Tja, wenn Sie mich fragen: Es liegt an ihm. Da muss es etwas geben, das er blockieren will.“
    „Also, wenn sein Zuckergehalt konstant im Keller bleibt, kann man ihn einige Zeit in Schach halten?“
    „Theoretisch wäre das in der Tat das Einzige, womit er ein Problem hätte. Alles andere würde von seinem Organismus vermutlich unschädlich gemacht werden können.“ Der Mann schlug die Mappe zu und schaute auf die Armbanduhr. „So, ich muss noch mein Flugzeug erwischen. Die Dokumente lasse ich Ihnen hier. Die Kopien schicke ich an Friedmann.“
    Tilse fuhr hoch, wobei er fast den Stuhl umwarf. „Nicht nötig. Wir werden es eh besprechen.“
    „Na gut.“ Er stampfte zur Tür. „Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“
    Tilse schloss ab und lehnte sich gegen die Wand. Lange spielte er im Geiste die Informationen durch, bis der Wirrwarr in seinem Kopf sich ordnete.
    „Stammzellen also, und Glucose. Weißt du was, Jonathan? Vielleicht braucht man gar keinen Kabbala-Mist, um dich zu erledigen. Eine Kugel ins Herz wird genügen. So schnell sind deine Zellen auch wieder nicht, oder?“ Er kratzte sich an der Nase. „Aber wozu etwas vernichten, wenn man es beherrschen kann? Ein Allheilmittel ist bestimmt einiges wert.“
    Leise summend bummelte er in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. Während die Brühe in die Kanne tropfte, lehnte er sich an das Fensterbrett und betrachtete die Mülltonnen im Hinterhof. Er erinnerte sich daran, mit wie viel Hingabe und Charisma Friedmann ihn damals überzeugt hatte, ihm zu folgen. Und jetzt war es wieder Jonathan, der alles durcheinander brachte. Sohn Gottes? Lächerlich. Bloß ein Mensch mit irgendwelchen verrückten Zellen. Das jüngste Gericht mochte kommen, aber ganz bestimmt nicht in absehbarer Zeit.
    Das Klingeln an der Tür riss ihn aus den Gedanken. Hatte der Dicke etwas vergessen? Kaum hatte er die Tür aufgemacht, drängte Friedmann ihn gegen den Garderobenständer.
    „Nur kurz“, peitschte Friedmanns Stimme. „Was gibt es Neues über das Mädchen?“
    Tilse knirschte mit den Zähnen. Verdammt! Wie konnte er das vergessen? Er wollte schon gestern dem Oberhaupt darüber berichten. Was

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