Staub zu Staub
steht.“
„Ich bin beeindruckt. Dann hatte Luzzatto wirklich hochrangige Besuche.“
„Und geplaudert haben sie bestimmt nicht über das Wetter.“
„Ich bitte Sie! Und wenn schon: Wo hat er den Schlüssel zum Thora-Code versteckt?“
„Tja, wir können ihn leider nicht danach fragen. Genauso wenig wie in die Vergangenheit schauen. Aber mir fällt da jemand ein, der es kann.“
„Ich hoffe, Sie wollen jetzt nicht Seelen aus dem Jenseits beschwören, oder auf einen heißen Tipp von Maggid warten?“
Friedmann schmunzelte. Aus seiner Hosentasche nahm er ein Papiertaschentuch und putzte seine Brille. „Nein, nein. Wozu denn. Wir haben Jonathan.“
Tilse richtete sich auf. „Verstehe ich das richtig? Sie wollen Jonathan dazu bringen, für uns den Schlüssel zur Thora zu finden, mit der wir ihn dann vernichten können?“
Friedmann setzte seine Brille auf, drehte sich dem Fenster zu und warf das Tuch in den Papierkorb. „Ja. Wobei er das mit dem Vernichten nicht unbedingt erfahren muss.“ Er neigte den Kopf zur Schulter. „Ein wunderschöner Sonnenuntergang, nicht wahr?“
Tilse trat näher und beobachtete, wie der rote Kreis hinter den Bäumen leuchtete. Auf der Wiese im Hof tänzelten immer noch die Mönche. „Er ist der Sohn Gottes. Er weiß alles.“
„Er ist ein Teil von ihm und nicht das Ganze.“
„Meinetwegen. Aber wie wollen Sie ihn dazu bringen?“
Friedmann wandte sich vom Fenster ab und spitzte die Lippen. „Diese Frau aus Preschkes Dorf hat doch von einem Fernfahrer erzählt, als wir die Kirche besucht und uns nach dem Pater erkundigt haben. Helmut Steiner. Ich vermute, er war es, der den Jungen damals nach Schweden geschafft hat. Soll er doch unseren Messias auf die richtigen Gedanken bringen. Ich wette, Jonathan wird den Weg zur Thora-Enthüllung für immer vernichten wollen, damit die Menschen keinen Unsinn mit diesem Wissen anstellen können.“
„Ist es nicht ein wenig zu gefährlich, mit dem Sohn Gottes zu spielen?“
„Ist es nicht aufregend, einen so starken Gegenspieler zu haben? Außerdem hat er einen entscheidenden Schwachpunkt: Es ist ihm verwehrt, seine Wünsche zu erfüllen. Er hat nur die Anweisungen von oben zu befolgen.“
„Wie meinen Sie das?“
„Denken Sie an die Bibel. Wie die Schaulustigen ihn am Kreuz sahen und sagten:
Anderen hat er geholfen, sich selbst kann er nicht helfen
. Menschen sind frei in ihren Entscheidungen. Er ist kein Mensch und das macht es für uns etwas einfacher.“
Tilse erinnerte sich an seinen molligen Besucher mit dem Fachchinesisch. Was hatte das Männlein noch einmal von der Amnesie gesagt? Vielleicht war es genau das, was Jonathan blockieren wollte, all die Anweisungen, die ihn verpflichteten. Tilse schüttelte den Kopf. So langsam wusste er selbst nicht mehr, woran er glaubte. Er brauchte Klarheit: Entweder die totipotenten Stammzellen oder der Gottessohn. Er umschloss den Pen in seiner Tasche. Dem Insulin schenkte er mehr Vertrauen, sollte doch der alte Mann seinen Hirngespinsten nachlaufen.
„Also, die nächste Station – der Fernfahrer?“, spielte er weiter seine Rolle.
„Unsere Leute haben schon einiges über ihn herausgefunden. Wo er lebt, was er macht. Er hat eine alte Mutter. Ich bin mir sicher, wir werden ihn überzeugen können, uns ein wenig zu helfen.“
Tilse nickte und sah wieder aus dem Fenster. „Sie haben Recht“, sprach er nach einer Weile. „Ein wunderschöner Sonnenuntergang.“
Kapitel 11
Die Tür des Polizeibüros öffnete sich. Mirjam stöhnte, als anstelle des Beamten von vorhin Schöbel eintrat. Nach der Befragung im Pflegeheim gehörte er zu den Menschen, denen sie in diesem Leben nicht noch einmal begegnen wollte.
„Guten Abend, Frau Belzer.“ Mit einer hellbraunen Mappe fächerte er sich Luft zu, obwohl es im Raum alles andere als heiß war. „Ich sehe, Sie haben einen leichten Hang zu Schwierigkeiten? Ich bin überrascht, hier Ihre angriffslustige Freundin nicht anzutreffen.“
„Das muss ich nicht kommentieren, oder?“ Mirjam reckte sich und hörte ein Knacken in ihrem Schulterblatt. Der Stuhl, auf dem sie schon seit Stunden ausharrte, hatte ihr ziehende Rückenschmerzen beschert. Ihr rechtes Auge tränte, jede Bewegung des Lids schmerzte. Wie alles andere an ihrem Körper. Sie spürte jeden blauen Fleck, jede Hautabschürfung. Aber noch schlimmer war das Gefühl von Händen, die nach ihren Brüsten grabschten.
Schöbel warf die Mappe auf den Tisch. Mit einer ausschweifenden
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