Staub zu Staub
anderen Umständen hätte sie die Hefte nicht einmal angefasst, aber die Raufasertapete oder der Gummibaum neben der Tür, auf dessen Blättern jemand Wellenlinien durch den Staub gezogen hatte, boten nicht viel Unterhaltung. Als Mirjam eine bunte Zeitschrift zur Seite schob, hielt sie inne.
Stargeiger mutiert zum Killer. Wegen dieser Frau?
Auf der Titelseite einer lokalen Zeitung sah Mirjam sich selbst auf einem großen, aber unscharfen Foto. Der Untertitel verkündete:
Der mysteriöse Tod gibt der Polizei Rätsel auf
.
Mirjam griff nach dem Blatt. In diesem Moment bat eine Arzthelferin sie ins Behandlungszimmer. Nach der recht zügigen Untersuchung bekam Mirjam eine zweiwöchige Krankmeldung. Sie hastete ins Wartezimmer zurück und entdeckte die Zeitung in den Händen eines bärtigen Mannes, der bei ihrem Eintreten vom Titelblatt aufsah, und Mirjam beeilte sich, die Praxis zu verlassen.
Unterwegs zur S-Bahn suchte sie nach einem Zeitungsladen, fand ihn aber erst im Bahnhof. An den Ausstellungsständern blieb sie stehen. Ihr Foto prangte auf fast jedem Blatt, geziert mit schreienden Überschriften. Bestürzt sah Mirjam sich um. Hatte die Kassiererin gerade den Blick von ihr abgewendet? Und der Dicke mit dem Käppi, der am Ständer mit den Taschenbüchern drehte – musterte er sie heimlich?
Wünsch dir was
. Wie auf Katzenpfoten schlich die Stimme durch ihren Kopf.
Und sie werden alle sterben
.
Mirjam stürmte aus dem Laden. Die Blicke der anderen stachen noch in ihrem Rücken, sogar als sie in die S-Bahn schlüpfte und sich in der Menge zu verstecken glaubte. Die Fahrt hatte sie kaum wahrgenommen. Erst auf der Straße kam sie wieder zu sich und stellte fest, dass sie auf ihre Wohnung zulief. Und dort bereits erwartet wurde.
Zwei Männer lauerten vor dem Eingang. Ein erschreckender Gedanke durchzuckte ihr Hirn: Sie war den beiden ausgeliefert. Max würde ihr nicht helfen können, egal, wie sehr sie ihn rufen mochte.
Einer der Typen kam angespurtet. „Frau Belzer?“ Er zückte etwas aus der Jeanstasche. Nein, kein Bayonet-Messer, sondern einen Notizblock und einen Kugelschreiber. „Stimmt es, dass Herr Helmgren brutal getötet haben soll?“
„Wie bitte?“
„Beim Überfall. Wir haben aus sicheren Quellen erfahren, dass der Geiger total ausgeflippt sein soll. Erzählen Sie uns, was vorgefallen ist?“
„Wer sind Sie denn?“
„Robert Sassler, Journalist. Es ist also wahr, dass dieser Helmgren psychisch – nun ja – instabil ist?“
„Nein! Amnesie ist keine psychische Krankheit. Ich meine …“
„Aha. Er kann sich nicht erinnern, getötet zu haben? Hat er so etwas öfter, diese Blackouts?“
„Das habe ich doch gar nicht gesagt. Er … es ist alles in Ordnung mit ihm.“
„Wie lange sind Sie schon mit ihm zusammen?“
„Aber das sind wir gar nicht.“ Die zügigen Bewegungen des Kugelschreibers versetzten Mirjam immer mehr in Nervosität. Was kritzelte er da? „Sie verstehen das alles falsch, ich habe ihn vorher nur drei Mal gesehen. Zum ersten Mal im Konzert. Und dann hat er mich einmal nach Feierabend überrascht und gestern …“
„Ist er Ihnen wieder gefolgt?“
Inzwischen mischte sich auch der zweite Mann ein: „Frau Belzer, stimmt es, dass er zugekokst war?“
Die Frage kam einem Schlag ins Gesicht gleich. Mirjam stürmte davon.
Am liebsten hätte sie sich in eine Ecke verkrochen, aber eine Kuscheldecke und Tüpfelchen an der Seite brachten auch Geborgenheit. So streichelte sie die Katze und sah in die bernsteinfarbenen Augen, die ihr verständnisvoll entgegenglänzten.
Gegen fünf Uhr kam Kristin heim. Sie erschien auf der Schwelle mit einer Ein-kaufstüte in der Hand und verkündete: „Na du, wollen wir backen? Ich bin schon so gespannt auf heute Abend!“
„Was backen?“
„Challa. Dieses Schabbat-Brot. Heute ist Freitag, du Nase. Wie du siehst, habe ich recherchiert.“ Sie grinste und hob die Tüte hoch. Tüpfelchen sprang vom Sofa und begann, mit der Ecke der Plastiktasche zu spielen. „Ich habe Hefe und Honig gekauft. Alles andere haben wir hier. Wann genau fängt Schabbat an?“
Mirjam lächelte. Wie brachte Kristin es fertig, an alles zu denken? „Etwa achtzehn Minuten vor Sonnenuntergang. Und das Backen werde lieber ich über-nehmen.“ Eigentlich war es nicht richtig, Schabbes hier zu feiern, aber eine andere Lösung fiel ihr nicht ein und sie wollte Kristin auch nicht brüskieren.
In der Küche beanspruchte Kristin am meisten Platz. Mirjam
Weitere Kostenlose Bücher