Staub zu Staub
streifte sich eine Strähne aus der Stirn. Ihre mit Mehl bestreuten Finger hinterließen eine Spur über den Augenbrauen. „Rede mit deinen Eltern. Alles wird gut.“
Mirjam drückte Kristin an sich. „Danke. Für alles.“
„Ist schon okay. Erzähl mir lieber von Schabbat.“
„Wir nennen es Schabbes.“ Mirjam lächelte. „Und mit meinen allerersten Challes hätte man Baseball spielen können.“
Kapitel 13
Die Schädel hatten sich zum Abendgebet zurückgezogen. Tilse schlenderte mit dem Schlüsselbund in der Hand durch die Eingangshalle des Klosters und stimmte das ‚Ave Maria’ an. Er liebte es, wie sich seine Stimme in großen Räumen entfaltete. In diesen Momenten hatte sie etwas Erhabenes an sich, etwas, was ihn über den Dingen stehen ließ. Sandra mochte seinen Gesang. Oft scherzte sie, ihn zu lieben, nur weil er ihr in Krisen auf den Knien immer ‚Liebst du mich’ von Westernhagen vorsang. 2005 kam der Song raus, kriselte es schon seit zwei Jahren in ihrer Beziehung? Nein, Quatsch, diese kleinen Holpersteine gab es in jeder Ehe, und auch lange vor 2005. Das Lied verdrängte das ‚Ave Maria’.
Liebst du mich?
Oder spielst du nur? Oder weißt du es nicht so genau?
Tilse schloss die Tür zum Kellergewölbe auf. Wie oft musste er noch anrufen, wieso nahm sie nicht ab?
Liebst du mich? Oder träume ich nur? Kann ich dir vertrauen?
Nein. Nicht mehr. Das Lied erstarb auf seinen Lippen. Schweren Herzens stieg er die Wendeltreppe hinunter.
Der Abschnitt um die Ecke lag im Dunkeln. Tilse tastete die Backsteine ab, fand die Kellerlampe und rüttelte daran. Sie begann vertraulich zu flackern. Tilse lächelte ins zuckende Licht, auch wenn Friedmann vermutlich nie etwas über seine kleine Rebellion erfahren würde. Er beschloss, noch heute eine neue Lampe zu kaufen.
Neben der vierten Tür rechts blieb er stehen und drückte sein Ohr an das Holz. Kein Laut drang aus dem Verlies. Vielleicht hatte sich der Arzt geirrt? Vielleicht sollte man das, was dahinter lauerte, keineswegs rauslassen? Er erinnerte sich an die Obduktionsfotos, die ihm Friedmann zusammen mit den Akten übergeben hatte. Im Mittelalter hätte er Köhler eigenhändig auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Vorsichtig, als könne allein das Türloch ihm die Finger abbeißen, steckte er den Schlüssel rein. Zwei volle Umdrehungen – nach jeder lauschte er angespannt. Nichts. Verdammt, er hätte ein paar Schädel mitnehmen sollen. Oder noch besser: Die Mönche allein hierher schicken.
Er schob den Riegel zur Seite. Zögernd stieß Tilse die Tür auf und lugte in die vollkommene Dunkelheit. Gestank nach menschlichen Ausscheidungen schlug ihm entgegen. Jetzt dachte er an die Pistole, die er oben im Büro des Abtes liegen gelassen hatte. Eine Browning 9 Millimeter, die alles aufhalten konnte.
„Walters?“ Seine Stimme klang hart. Gut so. Der Arzt würde schon Recht haben. Es war nicht gefährlich. In der hinteren Ecke bewegte sich etwas. Tilse drückte sich gegen die Wand. Das Licht flackerte, zusammen mit seinem Vertrauen in ärztliche Diagnosen.
„Walters? Sie können raus.“ Seine Augen kämpften gegen die Dunkelheit an, um Bewegungen in der Zelle zu erkennen. „Ich kümmere mich um Sie. Kommen Sie her. Es ist vorbei.“
Das Etwas richtete sich auf und wankte auf ihn zu. Tilse atmete flach durch den Mund. Der Gestank belegte seine Zunge mit einer Schimmelschicht, er konnte ihn schmecken.
Schwankend blieb das Etwas direkt vor ihm stehen. Unter dem fettigen Strubbelhaar sah ein blasses, mit Bartstoppeln übersätes Gesicht hervor. Tilse spürte die Mauer im Rücken und wünschte, er könne durch Wände gehen. Seine Faust umklammerte die Schlüssel, das Metall bohrte sich in seine verschwitzte Haut. „Sie haben bestimmt Hunger.“ Die Härte seiner Stimme wich einem zweifelnd fragenden Ton. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen. „Und Durst. Kommen Sie mit nach oben.“
Das käsige Gesicht begann sich ihm zu nähern, Zentimeter um Zentimeter. Die rot geränderten Augen glänzten fiebrig.
Irre. Der Bursche war total irregeworden.
Tilse wollte sich an der Wand entlangschieben, doch Walters schlug die Hände links und rechts von ihm an die Mauer. Der irre Blick blieb an seiner Gurgel kleben. Im Weiß der Augen konnte Tilse rote Äderchen erkennen. Er schluckte und rief das Bild seiner Tochter hervor, damit es zu seiner letzten Erinnerung würde.
„Wuff!“
Tilse japste.
„Mach dir nicht gleich in die Hosen“, krächzte Walters und
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