Staub zu Staub
verkrümelte sich auf den Stuhl am Fenster und rührte in einer Schüssel das warme Wasser mit Hefe und Honig zusammen, während Kristin erzählte, dass Helga sich nach ihr erkundigt hatte und die Oberschwester ihr gute Besserung wünschte. Mirjam beo-bachtete die Hefebrösel, deren eindringlicher Duft ihr in die Nase stieg.
„Ich war heute bei meiner Wohnung.“ Sie stellte die Schüssel auf die Arbeits-platte.
„So dumm habe ich dich gar nicht eingeschätzt.“ Kristin beugte sich über das Rezept und fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang. „Ich hoffe, keiner ist dir hierher gefolgt. Ein Versteck nützt nämlich wenig, wenn die bösen Buben von ihm wissen.“
„Nein. Es waren nur zwei Reporter da.“
„Sie wollten bestimmt eine Story aus dir herausquetschen.“ Kristin nahm Mehl, eine Flasche Öl und Zimt aus einem Unterschrank. „Ich hoffe, du hast den Geiern nichts gesagt.“
„Nein“, wisperte Mirjam. „Hab ich nicht.“
„Gut. Du darfst nie vergessen, dass Max eine Persönlichkeit von öffentlichem Interesse ist. Überleg dir immer ganz genau, wem und was du über ihn erzählst.“
Mirjam begann das Mehl in die Schüssel zu sieben. Der weiße Staub rieselte auf den Gefäßrand und die Arbeitsplatte, bestäubte ihre Hände. „Kristin?“
„Hm?“
„Gestern hast du gesagt, dass du Max magst. Meintest du, dass du ihn einfach so magst, oder – nun ja – anders.“
„Ich würde ihn nicht von der Bettkante stoßen, nein.“ Sie fegte sich das Mehl, das um die Schüssel verstreut lag, in die Handfläche und staubte es in die Spüle. „Aber ich weiß, was du für ihn empfindest.“ Mirjam wollte protestieren, doch Kristins Hand schnellte hoch. „Hey! Du kriegst schon einen halben Orgasmus, wenn du bloß seinen Namenhörst. Keine Sorge, ich werde mich nicht zwischen euch stellen. Und bei meinen Körpermaßen weiß ich zu gut, dass sogar Adam sich lieber erhängt hätte, als es mit mir zu treiben.“ Erneut wollte Mirjam protestieren, kam aber wieder nicht dazu. „Ich habe es in der dreizehnten Klasse gemacht“, fuhr Kristin fort, „kurz nach den Abi-Prüfungen. Er war ein Mitschüler, hatte ein Gesicht wie ein Streuselkuchen und stand auf der Coolness-Skala noch unter den Bandwürmern. Das Ganze dauerte zehn Minuten und ich habe ihm fünfzig Mark dafür gegeben. Das war mein erstes und letztes Mal.“
„Warum hast du das getan?“ Mirjam pustete auf die Mehlschicht im Sieb. Die winzigen Partikel tanzten durch die Luft wie Schneewirbel. Sie liebte Schnee.
„Ihm das Geld gegeben?“
„Überhaupt mit ihm geschlafen. Du hast ihn doch nicht geliebt.“
Kristin winkte ab. „An diesen Romantikquatsch mit der besseren Hälfte glaube ich nicht.“
„Ich denke, man schenkt dem anderen etwas mehr als nur den Körper. Vielleicht ein Stück von sich selbst.“
„Ein Seelentausch? Süße, das Einzige, was da ausgetauscht wird, sind Körperflüssigkeiten. Und was ist mit dir? Hast du schon jemandem ein Stück deiner Seele geschenkt?“
Mirjam errötete. „Ich warte auf den Richtigen. Er muss etwas besonderes sein, nett und …“
„Maximilian Helmgren heißen.“
Sie kicherten wie zwei Schulmädchen. „Weißt du“, flüsterte Mirjam, „früher habe ich nie gewürdigt, wie gut ich es eigentlich habe. Dass ich Menschen wie dich kenne. Die sich um mich kümmern.“
„Ach, hör auf mit dem Depri-Gerede.“
„Ich meine es ernst. Meine Eltern zum Beispiel. Wir hatten uns schrecklich verkracht. Ich bin liberaler geworden. Mein Vater hat sich damals furchtbar aufge-regt. Ich fand viele Mizwoth, also unsere Gebete, veraltet. Zum Beispiel die Trennung zwischen Männern und Frauen. Auch passen einige Gebete nicht mehr zum modernen Leben. Mein Vater meinte, ich verrate damit jüdische Traditionen. Ich habe meinen Eltern abscheuliche Sachen an den Kopf geworfen. Eine zeitlang danach wollte ich gar nichts mehr von Gebeten und Geboten hören. Ich war wie in einem religiösen Niemandsland. Doch etwas fehlte mir. Seit kurzem besuche ich eine liberale Synagoge und langsam stellt sich auch der Kontakt zu der Gemeinde ein. Ich dachte wirklich, ich habe die schrecklichste Familie der Welt. Aber wenn ich an deinen Vater denke, der einfach abgehauen ist, oder an Max, der gar keine Eltern hat, sehe ich, wie gut ich es eigentlich habe. Meine Eltern bezahlen mir noch immer meine Wohnung und mein Auto. Warum muss ich das alles erst jetzt erkennen? Wenn es zu spät ist?“
„Das ist es nicht.“ Kristin
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