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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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sich an die Waden der Frau.
    „Na, warum so schüchtern?“ Frau Wiebke nahm das Tier in die Arme. „Das ist übrigens Tüpfelchen.“ Die Katze streckte sich und gähnte.
    Mirjams Blick klebte auf dem Rollstuhl, auch wenn sie sich bemühte, nicht hinzuschauen. Wie konnte die Frau sich in dieser Enge bewegen? Hätte sie gewusst, in welchen Bedingungen Kristin und ihre Mutter lebten, hätte sie es niemals übers Herz gebracht, die beiden mit ihren eigenen Problemen zu belästigen.
    „Ich denke, ich gehe lieber Kristin mit dem Tee helfen“, stammelte Mirjam und rettete sich aus dem Zimmer.
    Auf dem Herd in der Küche fiepte ein Teekessel. Kristin summte etwas und klapperte mit den Tassen.
    „Und wo ist dein Vater?“, fragte Mirjam, um einfach etwas zu sagen.
    „Keine Ahnung.“ Aus einem Schrank mit einer schiefen Tür holte Kristin zwei Teebeutel und stopfte sie in eine Keramikkanne. „Ich habe ihn seit zehn Jahren nicht mehr gesehen.“
    Noch ein Fettnäpfchen. Na toll. „Ich hätte nicht fragen sollen“, murmelte sie.
    „Ach was. Er ließ sich scheiden, kurz nachdem Mam den Unfall hatte.“ Kristin spülte die Tassen im Waschbecken ab. „Sie braucht Pflege, muss oft ins Kranken-haus wegen ihrer OPs. Das alles war wohl zu viel für ihn.“ Der Teekessel pfiff lauter. Sie goss das Wasser in die Kanne und Himbeerduft füllte die Küche. „Hast du Hunger? Du hast bestimmt noch nichts gegessen. Und nicht so schüchtern, hier beißt keiner. Außer vielleicht Tüpfelchen, sie nagt gerne an großen Zehen.“
    „Nein, danke. Im Moment kriege ich nichts runter.“
    Kristin nahm das Tablett. „Dann komm. Lass uns Tee trinken.“
    Sobald Mirjam sich im Wohnzimmer auf dem Sofas niederließ, tapste Tüpfelchen zu ihr und stemmte die Vorderpfoten gegen ihre Oberschenkel. Die bernsteinfarbenen Augen leuchteten.
    Mirjam streichelte durch das weiche Fell. Die Anspannung bröckelte von ihr ab. Vielleicht bewirkte das der wohltuende Himbeerduft oder Tüpfelchen, die sie in ihrem Reich willkommen hieß.
    Ihr Blick fiel auf den klobigen Monitor mit bunten Merkzetteln.
    „Kristin? Hat der PC einen Internetanschluss?“
    „Aber nur Modem. Warum?“
    „Ich hätte gern etwas nachgeschlagen. Max hat ein paar Worte auf Hebräisch gesagt, ich will wissen, ob meine Vorahnung sich bestätigt. Es ist …“
    „Es ist überhaupt kein Problem.“ Kristin schaltete den Rechner an. Das Modem lärmte, als es eine Verbindung mit dem Internet aufbaute. „Fertig, du kannst ran.“
    Mirjam öffnete im Browser eine Suchmaschine und tippte. Kristin beugte sich über ihre Schulter.
    „Kether? Was heißt das?“
    „Das ist hebräisch und heißt übersetzt ‚Krone’.“
    „Du verstehst Hebräisch?“
    „Unsere Gebete, Thoralesungen – all das ist in Hebräisch.“ Mirjam klickte auf das erste Suchergebnis. „Ez Chajim. Ich hab’s doch geahnt.“ Die Katze sprang auf ihren Schoß und von da aus auf den Tisch, als wollte sie inspizieren, was Mirjam trieb.
    „Was ist ein Ez Chajim?“ Kristin fing Tüpfelchen ab und stellte das Tier wieder auf den Boden.
    „Der Baum des Lebens. Ein Element der jüdischen Lehre Kabbala. Unter anderem beschreibt er die Entstehung der Welt.“
    „Kabbala? Ist das nicht dieser esoterische Hokuspokus?“
    „Nein. Die Ursprünge der Kabbala findet man schon in der Thora. Man sagt, dass die Propheten mit ihrer Hilfe Visionen erhalten und Wunder bewirken konnten.“ Sie nagte an ihrem Daumennagel. „Was hat Max noch gesagt? Ich glaube, Tifereth war dabei. Und Binah … Mist, ich kann mich nicht mehr an die Reihenfolge erinnern.“
    Kristin nahm ihre Tasse und schlürfte den Tee. „Was bedeuten denn all diese Dingsbums?“
    „Das sind Sefirot, die zehn Knoten des Graphen. Aus ihnen wurde die Welt er-schaffen, sozusagen. Max hat einige Sefirot genannt. Beendet hat er mit Gevurah. Das steht für Strenge. Aber so gut kenne ich mich damit nicht aus, meine Eltern halten nichts von diesem Zeug.“
    Frau Wiebke lachte. „Von Kabbala verstehe ich nichts, aber im Tarot steht das für die Macht der Zerstörung.“
    Kristin hob die Augenbrauen. „Was wollte er mit dem Kram? Müsste man nicht jüdisch sein, um diese Kabbala zu praktizieren?“
    Mirjam klickte die Internetseite zu und betrachtete nachdenklich das Hinter-grundbild mit einer Herbstlandschaft. „Er ist zwar nicht jüdisch, aber er wusste ganz genau, was er tat“, flüsterte sie, während Tüpfelchen unter dem Tisch an ihrem großen Zeh zu knabbern

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