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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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gestrigen Nacht kann Marino sich nicht mehr vergegenwärtigen, und das wird wohl für immer so bleiben, weil Suz Whiskey zu Hause hatte. Sour-Mash-Bourbon, und zwar mehrere Flaschen. Sie trug Jeans und einen flauschigen rosafarbenen Pullover, als sie ihn ins Wohnzimmer führte, die Vorhänge zuzog, sich neben ihn aufs Sofa setzte und ihm von ihrem miesen Ex-Mann, dem Heimatschutz, den Pilotinnen und den anderen Paaren erzählte, die Frank nach Hause eingeladen hatte. Ständig erwähnte sie diese anderen Paare, als ob sie wichtig wären. Und deshalb erkundigte sich Marino, ob sie diese Leute gemeint habe, als sie während seines und Scarpettas Besuchs immer wieder von »sie« sprach. Allerdings ging sie nicht darauf ein, sondern wiederholte ihre Antwort: Fragen Sie Frank.
    Ich frage aber Sie, erwiderte Marino.
    Fragen Sie Frank, sagte sie bloß. Er hat alle möglichen Leute ins Haus geholt. Fragen Sie ihn.
    Was wollten diese Leute hier?
    Das werden Sie schon noch erfahren, entgegnete sie.
    Marino steht da und sieht zu, wie Scarpetta Latexhandschuhe überstreift und ein weißes Papierpäckchen aufreißt. Dort, wo der Traktorfahrer seinen tödlichen Unfall hatte, ist nichts als schlammiger Asphalt vor einer Hintertür zu sehen, die sich neben dem großen Rolltor befindet. Er beobachtet, wie Scarpetta in die Hocke geht und den Boden betrachtet. Dabei fällt ihm der gestrige Vormittag ein, als sie im Mietwagen hier vorbeigefahren sind und über die Vergangenheit gesprochen haben. Wenn er die Zeit zu diesem Moment zurückdrehen könnte, würde er es tun. Aber es geht nicht. Sein Magen fühlt sich übersäuert an, und ihm ist leicht übel. Sein Schädel pocht im Gleichtakt mit seinem wild klopfenden Herzen. Als er die kalte Luft einatmet, legt sich der Geschmack nach Erde und dem Betonstaub des Gebäudes, das rings um sie zusammenbricht, auf seine Zunge.
    »Wonach suchen Sie eigentlich, wenn ich fragen darf?«, sagt Bud, der ebenfalls zusieht.
    Scarpetta schabt mit dem Gaumenspatel sorgfältig über eine kleine Stelle in Erde und Sand, wo sich ein Fleck befindet. Vielleicht ist es Blut. »Mich interessiert nur, was da ist«, erklärt sie.
    »Wissen Sie, ich schaue mir manchmal solche Fernsehsendungen an. Oder ich kriege wenigstens etwas davon mit, wenn meine Frau sie einschaltet.«
    »Glauben Sie bloß nicht alles, was im Fernsehen kommt.« Scarpetta befördert weitere Erde in den Gefrierbeutel und lässt dann den Gaumenspatel ebenfalls hineinfallen. Nachdem sie den Beutel versiegelt hat, beschriftet sie ihn. Dann verstaut sie ihn vorsichtig in ihrer Nylontasche, die aufrecht auf dem Boden steht.
    »Also nehmen Sie diesen Dreck nicht mit, um ihn in irgendeine Zaubermaschine zu stecken?«, witzelt Bud.
    »Mit Zauberei hat unsere Arbeit nichts zu tun«, antwortet sie, öffnet wieder ein weißes Päckchen und kauert sich auf den Parkplatz neben der Tür, die sie in ihrer Zeit als Chefpathologin jeden Morgen aufgeschlossen hat, um das Gebäude zu betreten.
    An diesem Morgen hat Marino einige Male Lichtblitze in der pulsierenden Finsternis seiner Seele gespürt. Sie sind elektrisch aufgeladen wie ein Bild, das auf einem defekten Fernseher immer wieder aufflackert, und verschwinden sofort wieder, sodass man nur einen verschwommenen Eindruck davon erhält, was die Bilder darstellen könnten. Lippen und Zunge. Fragmente von Händen und geschlossenen Augen. Und sein Mund, der an ihr hinuntergleitet. Er weiß nur noch, dass er um sieben Minuten nach fünf heute Morgen nackt in ihrem Bett aufgewacht ist.
    Scarpetta arbeitet wie eine Archäologin, soweit Marino die Arbeitsweise von Archäologen beurteilen kann. Sie kratzt vorsichtig die Oberfläche einer schlammigen Stelle ab, unter der sie dunkle Blutflecken vermutet. Der Mantel schlingt sich um ihre Beine und schleift auf dem schmutzigen Asphalt. Doch das kümmert sie nicht. Wenn nur alle Frauen sich so wenig für unwichtige Kleinigkeiten interessieren würden wie sie. Marino glaubt, dass Scarpetta eine unerfreuliche Nacht verzeihen würde. Sie würde Kaffee kochen und lange genug bleiben, um darüber zu reden. Niemals würde sie sich heulend ins Bad einschließen und ihn anbrüllen, er solle verdammt nochmal sofort verschwinden.
    Raschen Schrittes verlässt Marino den Parkplatz und watet durch den Schlamm zurück zum Auto. Er rutscht aus und behält mit einem Grunzen, das sich in ein Röcheln verwandelt, mit knapper Not das Gleichgewicht. Vornüber gebeugt, erbricht er sich und

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