Staub
oder ich, kaum noch gesundes Lungengewebe hat. Also könnte er schwer erkranken und sich zum Beispiel eine Lungenentzündung zuziehen. Wenn er zu Asthma neigt, wird er alles meiden, was einen Anfall auslösen könnte. Vielleicht nimmt er verschreibungspflichtige Medikamente wie zum Beispiel Steroide. Er könnte auch Spritzen gegen Allergien bekommen. Möglicherweise schluckt er auch frei verkäufliche Arzneimittel. Alles kommt in Frage, auch dass er seine Erkrankung einfach ignoriert.«
»Okay, okay«, erwidert Browning, klopft mit dem Stift und kaut heftig. »Aber bei einem Kampf würde ihm doch sicher rasch die Puste ausgehen.«
»Wahrscheinlich.« Dieses Gespräch dauert nun schon über eine Stunde, und Scarpetta ist sehr müde. Sie hat den ganzen Tag lang kaum etwas gegessen und fühlt sich erschöpft. »Es kann zwar sein, dass er über Muskelkraft verfügt, aber er ist in seiner körperlichen Aktivität eingeschränkt. Zum Kurzstreckenläufer oder Tennisspieler eignet er sich sicherlich nicht. Falls er jahrelang immer wieder Stereoide eingenommen hat, ist er vielleicht zu dick und hat keine gute Kondition.« Die langen hellen Strahlen der Taschenlampen gleiten über den Holzschuppen hinter dem Haus und bleiben an der Tür hängen. Ein uniformierter Polizist, der gerade mit einem Bolzenschneider das Schloss bearbeitet, steht mitten im Lichtkegel.
»Finden Sie es dann nicht seltsam, dass er Gilly Paulsson überfallen hat, obwohl sie die Grippe hatte? Hätte er denn nicht befürchten müssen, sich anzustecken?«, fragt Browning.
»Nein«, erwidert sie und beobachtet den Polizisten mit dem Bolzenschneider. Plötzlich schwingt die Tür weit auf, und die Lichtstrahlen durchbohren die Dunkelheit im Inneren des Schuppens.
»Warum nicht?«, hakt Browning nach. Scarpettas Mobiltelefon vibriert.
»Drogensüchtige mit Entzugserscheinungen denken auch nicht an Hepatitis und AIDS. Serienvergewaltiger und Mörder machen sich keine Sorgen über Geschlechtskrankheiten, wenn sie Lust haben, jemanden zu vergewaltigen oder zu ermorden«, entgegnet sie und nimmt das Telefon aus der Tasche. »Nein, ich glaube nicht, dass Edgar Allan sich den Kopf über die Grippe zerbrechen würde, wenn ihn der Drang überkommt, ein junges Mädchen umzubringen … Entschuldigen Sie bitte.« Sie nimmt das Gespräch an.
»Ich bin es«, sagt Rudy. »Es ist etwas passiert, das du wissen solltest. Es geht um den Fall, den du gerade in Richmond bearbeitest. Latente Fingerabdrücke aus diesem Fall stimmen mit denen aus einem Fall überein, an dem wir hier in Florida dran sind. IAFIS hat die Übereinstimmung festgestellt. Allerdings ist der Besitzer unbekannt.«
»Wer ist wir?«
»Ein Fall, mit dem Lucy und ich beschäftigt sind. Du weißt nicht, worum es geht, und es ist zu kompliziert, um es dir jetzt zu erklären. Lucy wollte nicht, dass du davon erfährst.«
Scarpetta hört ungläubig zu, und ihre Benommenheit schwindet. Durch das Fenster sieht sie, wie sich eine große, dunkel gekleidete Gestalt vom Schuppen hinter dem Haus entfernt. Seine Taschenlampe bewegt sich im Gleichtakt mit seinen Schritten. Marino kommt auf das Haus zu.
»Ich darf nicht drüber reden.« Er hält inne und holt Luft. »Aber ich kann Lucy nicht erreichen. Ihr gottverdammtes Telefon. Keine Ahnung, was sie gerade treibt, aber sie geht wieder mal nicht ran. Schon seit zwei Stunden nicht. Ein Mordversuch an einer unserer Mitarbeiterinnen. Sie war in Lucys Haus, als es geschah.«
»O Gott.« Scarpetta schließt kurz die Augen.
»Es ist echt seltsam. Zuerst dachte ich, sie will sich nur wichtig machen, aber die Fingerabdrücke auf der Flaschenbombe sind identisch mit denen im Schlafzimmer. Und auch dieselben wie in deinem Fall in Richmond, dem des toten Mädchens, zu dem man dich hinzugezogen hat.«
»Was genau ist der Frau in deinem Fall zugestoßen?«, erkundigt sich Scarpetta.
»Sie lag krank im Bett. Die Grippe. Wir wissen nicht genau, was dann passiert ist, nur dass er durch eine unverschlossene Tür eingedrungen sein muss. Vermutlich wurde er dadurch verscheucht, dass Lucy nach Hause gekommen ist. Das Opfer war bewusstlos, stand unter Schock und ist dann völlig ausgerastet. Keine Ahnung. Sie erinnert sich an nichts mehr, aber sie lag nackt und bäuchlings auf dem Bett. Die Decken waren heruntergezogen.«
»Verletzungen?«
»Nur ein paar Blutergüsse. Benton sagt, auf ihren Händen, ihrer Brust und auf dem Rücken.«
»Also weiß Benton davon. Jeder außer mir
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