Staub
veranstaltete, eingeladen, aber man wusste nie, ob sie auch auftauchen würden«, erklärt Scarpetta.
»War er je dabei?« Sie hört, wie Browning den Kaugummi heftig mit den Zähnen bearbeitet, während sie weiter dasteht und aus dem Fenster starrt.
»Das weiß ich beim besten Willen nicht mehr. Edgar Allan kam und ging, ohne dass es jemandem auffiel. Auch wenn es unfreundlich klingt, war er der farbloseste Mensch, der je für mich gearbeitet hat. Ich erinnere mich kaum daran, wie er aussah.«
» Aussehen ist der Schlüsselbegriff. Wir haben nämlich keine Ahnung, wie er heute aussieht.« Browning überlegt laut und blättert in seinem Notizbuch herum. »Sie sagten, er sei damals klein und rothaarig gewesen. Wie groß etwa? Eins achtundsechzig, eins siebzig? Fünfundsiebzig Kilo?«
»Eher eins fünfundsechzig und vielleicht fünfundsechzig Kilo«, erinnert sie sich. »Welche Augenfarbe er hatte, kann ich nicht sagen.«
»Laut Führerscheinstelle sind sie braun. Aber möglicherweise stimmt das nicht, weil er auch Körpergröße und Gewicht falsch angegeben hat. Auf seinem Führerschein ist er eins fünfundsiebzig und wiegt fünfundachtzig Kilo.«
»Warum fragen Sie mich dann?« Sie dreht sich um und sieht ihn an.
»Um Ihnen die Chance zu geben, sich zu erinnern, bevor ich Sie mit vermutlich falschen Informationen beeinflusse.« Er zwinkert ihr zu und kaut weiter Kaugummi. »Außerdem hat er behauptet, er hätte braunes Haar.« Er klopft mit dem Stift auf den Notizblock. »Was hat ein Typ, der in der Anatomie Leichen einbalsamiert hat, denn damals so verdient?«
»Vor acht oder zehn Jahren?« Wieder schaut sie aus dem Fenster in die Nacht hinaus und betrachtet die Lichter, die in Gilly Paulssons Haus auf der anderen Seite des Zauns brennen. Die Polizei ist auch in ihrem Garten und in ihrem Zimmer. Sie kann sehen, wie sich hinter den Vorhängen Schatten bewegen. Wahrscheinlich hat Edgar Allan Pogue durch dasselbe Fenster hineingestarrt, wann immer er die Möglichkeit dazu hatte. Er hat beobachtet, phantasiert, vielleicht sogar den Spielen zugeschaut, die in diesem Haus getrieben wurden, und dabei Flecken auf seinen Laken hinterlassen. »Meiner Schätzung nach können es nicht mehr als zweiundzwanzigtausend Dollar pro Jahr gewesen sein.«
»Und dann hat er plötzlich gekündigt und behauptet, er sei aus irgendeinem Grund arbeitsunfähig. So was kommt wohl häufiger vor.«
»Kontakt mit Formaldehyd. Er hat nicht simuliert. Ich musste damals seine Arztberichte überprüfen und habe vermutlich auch mit ihm gesprochen. Es muss so gewesen sein. Wegen des Formaldehyds hatte er eine Erkrankung der Atmungsorgane, eine Lungenfibrose, die durch Röntgenbilder und eine Biopsie nachgewiesen wurde. Soweit ich mich erinnere, ergaben die Untersuchungen, dass mit dem Sauerstoffgehalt seines Blutes einiges im Argen lag, und das Spirometer zeigte eine eindeutig eingeschränkte Atmung.«
»Spirowas?«
»Das ist ein Gerät, in das man hineinatmet, um die Atmungsfunktion zu messen.«
»Verstanden. Als ich noch geraucht habe, wäre ich wahrscheinlich durchgefallen.«
»Wenn Sie weitergeraucht hätten, wäre es irgendwann sicher so weit gewesen.«
»Gut. Also hatte Edgar Allan wirklich ein Problem. Muss ich annehmen, dass er immer noch krank ist?«
»Tja, sobald er keinen Kontakt mit Formaldehyd oder anderen reizenden Stoffen mehr hatte, hätte die Krankheit eigentlich nicht weiter fortschreiten dürfen. Das heißt allerdings nicht, dass er geheilt ist, weil sich Narbengewebe gebildet hat, und das ist irreversibel. Ja, er ist sicher immer noch nicht gesund, aber wie schwer seine Erkrankung ist, kann ich nicht sagen.«
»Dann müsste er doch regelmäßig zum Arzt gehen. Glauben Sie, wir finden den Namen seines Arztes in seiner alten Personalakte?«
»Sofern sie noch existiert, liegt sie in der Registratur. Genau genommen müssen Sie Dr. Marcus fragen. Ich bin nicht zuständig.«
»Aha. Aber mich interessiert Ihre Meinung als Ärztin, Dr. Scarpetta. Ich möchte wissen, wie krank dieser Typ ist. Geht er regelmäßig zum Arzt oder in eine Klinik, und muss er verschreibungspflichtige Medikamente einnehmen?«
»Wahrscheinlich nimmt er Medikamente. Es muss aber nicht so sein, solange er auf seine Gesundheit achtet und einen großen Bogen um Leute macht, die erkältet sind oder die Grippe haben, damit er sich nicht ansteckt. Einen Infekt der oberen Atemwege sollte er nämlich unter allen Umständen vermeiden, da er, anders als Sie
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