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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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den sonnigen Tag hinaus und sucht ihr Grundstück nach Veränderungen ab. Rudy und sie sind bis in die frühen Morgenstunden in Miami gewesen. Da sie seit drei Tagen nicht zu Hause war, hatte die Bestie mehr Zeit als genug, sich hier herumzudrücken und zu spionieren. Er war da, um nach Henri zu suchen. Er ist einfach über die Terrasse zur Hintertür spaziert und hat seine Zeichnung daran geheftet, damit Henri ihn nicht vergisst und um sie zu verhöhnen. Und niemand hat die Polizei gerufen. Die Leute in diesem Viertel sind das Hinterletzte, denkt Lucy. Es interessiert sie nicht, ob man totgeprügelt oder Opfer eines Einbruchs wird, solange man bloß nichts tut, was unangenehme Auswirkungen auf ihr Leben haben könnte.
    Sie betrachtet den Leuchtturm auf der anderen Seite des Meeresarms und fragt sich, ob sie es wagen soll, nach nebenan zu gehen. Die Frau, die dort wohnt, verlässt ihr Haus nie. Lucy kennt ihren Namen nicht und weiß nur, dass sie neugierig ist und durch die Fensterscheibe Fotos macht, wenn der Gärtner die Hecken schneidet oder hinten am Pool den Rasen mäht. Wie Lucy annimmt, sammelt die Nachbarin Beweise, für den Fall, dass sie an ihrem Garten etwas verändern lässt, das ihr den Blick verstellt oder das sie als seelische Grausamkeit empfinden könnte. Wenn sie Lucy nicht die Erlaubnis verweigert hätte, auf ihre einen Meter fünfzig hohe Mauer eine schmiedeeiserne Krone von noch einmal sechzig Zentimetern aufzusetzen, hätte die Bestie es natürlich nicht so leicht gehabt, ihre Terrasse und ihr Haus zu erreichen und in das Schlafzimmer einzudringen, wo Henri grippekrank im Bett lag. Aber die neugierige Nachbarin hat Einspruch gegen diese bauliche Veränderung eingelegt und gewonnen, und deshalb wäre Henri beinahe ermordet worden. Jetzt hat Lucy eine Zeichnung von einem Auge gefunden, die aussieht wie jene, die in die Motorhaube ihres Autos gekratzt wurde.
    Zwei Stockwerke tiefer ist die Fläche des Pools unterhalb der Kante nicht zu sehen. Dahinter liegen die tiefblauen Gewässer des Intracoastal Waterway. Dann kommen ein winziger Strand und der dunkelblaue aufgewühlte Ozean. Vielleicht ist er ja mit dem Boot gefahren, überlegt sie. Er bindet es an den Wellenbrecher und braucht nur die Leiter hinaufzuklettern, um mitten auf meiner Terrasse zu stehen. Allerdings glaubt sie nicht, dass er mit dem Boot hier war oder überhaupt eines besitzt, auch wenn sie nicht weiß, warum. Lucy dreht sich um und nähert sich dem Bett. Links davon liegt in der obersten Nachttischschublade Henris Colt .357 Magnum, ein wunderschöner Revolver aus Edelstahl, den Lucy ihm geschenkt hat, weil er das wunderbarste Schloss der Welt hat. Henri kann mit der Waffe umgehen und ist kein Feigling. Deshalb ist Lucy felsenfest davon überzeugt, dass sie die Bestie im Haus nicht gehört hat. Sonst hätte sie den Eindringling, Grippe oder nicht, nämlich erschossen.
    Sie drückt auf den Knopf an der Wand und schließt die Jalousien. Dann macht sie die Lichter aus und verlässt das Schlafzimmer. Gleich daneben befinden sich ein kleiner Fitnessraum, zwei große Wandschränke und ein riesiges Badezimmer mit einem Whirlpool, eingelassen in Achat in der Farbe von Tigeraugen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass der Mann, der Henri angegriffen hat, im Fitnessraum, in den Wandschränken oder im Bad war, und immer wenn Lucy diese Räume betritt, hält sie inne, um festzustellen, was sie empfindet. Im Fitnessraum und in den Wandschränken empfindet sie nichts, dafür aber im Bad. Sie betrachtet die Wanne und die Fenster dahinter, die Blick auf das Wasser und den Himmel von Florida bieten, und versucht mit den Augen des Eindringlings zu sehen. Sie weiß nicht, warum, doch wenn sie die riesige, tiefe, in Achat eingelassene Wanne mustert, hat sie das Gefühl, dass er sie auch angeschaut hat.
    Dann kommt ihr ein Gedanke. Sie weicht zurück zu dem Türbogen, der ins Bad führt. Vielleicht ist er auf dem Weg die Steintreppe hinauf und zum Schlafzimmer nicht nach rechts, sondern nach links gegangen und so zuerst im Bad gelandet. Der Morgen war hell und sonnig, sodass Licht durch die Fenster hereingefallen sein muss. Möglicherweise hat er kurz gezögert und die Wanne betrachtet, bevor er sich umgedreht hat und lautlos ins Schlafzimmer geschlichen ist, wo Henri, verschwitzt, elend und mit hohem Fieber, bei heruntergelassenen Jalousien im Dunkeln lag und zu schlafen versuchte.
    Also warst du in meinem Badezimmer, sagt Lucy zu der Bestie. Du

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