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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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»Fielding müsste eigentlich die Aufsicht führen.«
    »Dr. Fielding ist überarbeitet«, entgegnet sie.
    »Das ist es also. Ihr ehemaliger Assistent.« Dr. Marcus erhebt sich von seinem Stuhl. Er ragt nicht hoch über seinem Schreibtisch auf, aber das hat Scarpetta auch nicht getan, weil sie nicht sehr groß ist. Allerdings wirkt Dr. Marcus wie ein Zwerg, als er hinter seinem Schreibtisch hervorkommt und an dem Tisch vorbeieilt, auf dem ein Mikroskop unter einer Plastikhaube steht. »Am besten fangen Sie jetzt mit Gilly Paulsson an. Sie liegt im Kühlraum für verweste Leichen. Sie sollten auch in diesem Raum arbeiten. Dort stört Sie niemand. Vermutlich haben Sie entschieden, eine zweite Autopsie vorzunehmen.«
    »Aber nicht ohne einen Zeugen«, entgegnet Scarpetta.
    12
    Lucy übernachtet nicht mehr im großen Schlafzimmer im zweiten Stock, sondern schließt sich in einem viel kleineren Raum im Geschoss darunter ein. Dabei sagt sie sich, dass sie triftige Gründe hat, nicht in dem Bett zu schlafen, in dem Henri überfallen wurde, dem riesigen Bett mit dem handbemalten Kopfbrett, das mitten in einem fürstlichen Gemach mit Blick aufs Wasser steht. Indizien, denkt sie. Ganz gleich, wie gründlich Rudy und sie auch vorgegangen sind, besteht trotzdem die Möglichkeit, dass sie etwas übersehen haben.
    Rudy ist im blauen Modena losgefahren, um zu tanken. Zumindest lautete so seine Ausrede, als er den Schlüssel von der Anrichte in der Küche genommen hat. Aber Lucy vermutet, dass er etwas anderes vorhat. Er kurvt ziellos umher, um festzustellen, ob ihm jemand folgen wird. Auch wenn wahrscheinlich niemand so leichtsinnig wäre, einen großen, kräftigen Burschen wie Rudy zu belästigen, treibt sich die Bestie, die das Auge – inzwischen sind es zwei Augen – gezeichnet hat, irgendwo da draußen herum. Vielleicht hat der Mann gar nicht mitbekommen, dass Henri fort ist, und beobachtet das Haus und die Garage. Womöglich gerade jetzt in diesem Moment.
    Lucy geht über den gelbbraunen Teppich und am Bett vorbei. Es ist noch ungemacht, die weichen, teuren Decken sind am Fußende über die Matratze gezogen und ergießen sich auf den Boden wie ein seidener Wasserfall. Die Kissen sind zur Seite geschoben und liegen genau dort, wo sie waren, als Lucy die Steintreppen hinaufgerannt ist und Henri bewusstlos im Bett gefunden hat. Zuerst hat Lucy sie für tot gehalten. Dann wusste sie nicht mehr, was sie denken sollte. Und daran hat sich seitdem nichts geändert. Vor lauter Angst hat sie die Notrufnummer 911 gewählt, und das hat zu einem riesigen Durcheinander geführt. Nun müssen sie sich auch noch mit der hiesigen Polizei herumschlagen. Kein Wunder, dass Rudy immer noch stinksauer ist.
    Erst als Lucy Henri mit einem Privatflugzeug nach Aspen gebracht hat, hat Benton eine Erklärung für das alles gefunden, die leider Sinn ergibt. Henri wurde wirklich überfallen und mag vorübergehend bewusstlos gewesen sein. Doch danach hat sie nur noch Theater gespielt.
    »Auf keinen Fall«, protestierte Lucy, als Benton ihr das eröffnete.
    »Sie ist Schauspielerin«, sagte er.
    »Nicht mehr.«
    »Aber sie war ihr halbes Leben lang Schauspielerin, bevor sie beschlossen hat, den Beruf zu wechseln. Vielleicht war es auch nur eine spannende Rolle für sie, zur Polizei zu gehen. Möglicherweise kann sie nichts weiter außer Theaterspielen.«
    »Warum sollte sie so etwas tun? Ich habe sie immer wieder gerüttelt, auf sie eingeredet, versucht, sie wachzukriegen. Welchen Grund hätte sie haben können?«
    »Scham, Wut, wer kann das so genau sagen?«, erwiderte er.
    »Vielleicht erinnert sie sich nicht, was geschehen ist, und hat es verdrängt. Doch es löst Gefühle in ihr aus. Kann sein, dass sie dich bestrafen will.«
    »Bestrafen. Wofür denn? Ich habe ihr doch nichts getan. Was sollte sie damit bezwecken wollen? Sie wird beinahe ermordet, und dann fällt ihr plötzlich ein, ach, wenn ich schon mal dabei bin, bestrafe ich kurz mal Lucy.«
    »Es würde dich überraschen, wozu Menschen fähig sind.«
    »Das würde sie nie tun«, beteuerte Lucy. Und je mehr sie darauf beharrte, desto klarer wurde es Benton, dass er Recht hatte.
    Sie geht durchs Schlafzimmer zu einer Wand, die acht Fenster hat. Sie liegen so hoch, dass man die obere Hälfte nicht mit Jalousien verdecken muss; diese sind nur an der unteren Hälfte geschlossen. Als Lucy auf einen Knopf an der Wand drückt, werden die Jalousien mit einem elektronischen Surren aufgezogen. Sie blickt in

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