Staub
sieht einigermaßen wohnlich aus. Rings um das Bett sind Poster von Sehenswürdigkeiten mit Klebestreifen an der vertäfelten Wand befestigt.
Gilly Paulsson ist unter den Stufen des Doms von Siena eingeschlafen, wachte mit dem alten Palast des Domitian auf Roms Palatin vor Augen auf und hat ihr langes blondes Haar wahrscheinlich vor dem Ganzkörperspiegel neben der Piazza Santa Croce in Florenz gekämmt, wo eine Statue von Dante steht. Vermutlich wusste sie gar nicht, wer Dante war. Vielleicht hätte sie Italien nicht einmal auf einer Landkarte finden können.
Marino steht an einem Fenster, das auf den Garten hinausgeht. Er muss nicht erklären, was er bemerkt hat, weil es offensichtlich ist. Das Fenster befindet sich nur einen Meter zwanzig über dem Boden und wird mit zwei Daumenhebeln verschlossen, sodass es sich leicht hochschieben lässt, wenn man die Hebel herunterdrückt.
»Sie rasten nicht ein«, sagt Marino. Er trägt weiße Baumwollhandschuhe und drückt die Hebel herunter, um zu demonstrieren, wie mühelos man das Fenster hochschieben kann.
»Detective Browning sollte davon erfahren«, meint Scarpetta. Sie holt ebenfalls Handschuhe hervor, ein weißes Paar aus Baumwolle, das ein wenig angeschmuddelt ist, weil sie es immer in einem Seitenfach ihrer Handtasche mit sich herumträgt. »In den Berichten, die ich gelesen habe, steht nichts von einem defekten Fensterriegel. Wurde das Fenster aufgebrochen?«
»Nein«, erwidert Marino und schiebt das Fenster wieder hinunter. »Es ist nur alt und abgenutzt. Ich frage mich, ob sie ihr Fenster je aufgemacht hat. Es ist recht unwahrscheinlich, dass jemandem zufällig aufgefallen ist, dass sie nicht in der Schule war, während ihre Mom noch kurz etwas erledigen musste, und er sich gesagt hat: Hey, dann brech ich doch mal schnell ein. Spitze, dass der Fensterriegel kaputt ist.«
»Vermutlich wusste jemand schon länger von dem defekten Fenster«, meint Scarpetta.
»Das würde ich auch sagen.«
»Dann muss dieser Jemand das Haus entweder kennen oder die Möglichkeit gehabt haben, es zu beobachten, um das herauszufinden.«
»Hmm«, brummt Marino. Er geht zur Kommode und zieht die oberste Schublade auf. »Wir müssen uns über die Nachbarn informieren. Von dem Haus nebenan hat man den besten Blick auf ihr Zimmer.« Er weist mit dem Kopf auf das Nachbargebäude mit dem vermoosten Schieferdach hinter dem Zaun. »Ich erkundige mich, ob die Cops die Bewohner schon befragt haben. Vielleicht haben die Bewohner ja mitgekriegt, dass sich ein Fremder um das Haus herumgedrückt hat … Ich glaube, das hier könnte dich interessieren.«
Marino greift in die Schublade und zieht eine schwarze Herrenbrieftasche aus Leder heraus. Sie ist weich und abgewetzt, als wäre sie lange Zeit in der Gesäßtasche herumgetragen worden. Als er sie aufklappt, ist ein abgelaufener Führerschein des Staates Virginia zu sehen, ausgestellt auf Franklin Adam Paulsson, geboren am 14. August 1966 in Charleston, South Carolina. Ansonsten enthält die Brieftasche weder Kreditkarten noch Bargeld oder andere Gegenstände.
»Ihr Dad«, sagt Scarpetta und betrachtet nachdenklich das Foto auf dem Führerschein. Es zeigt einen lächelnden blonden Mann mit markantem Kiefer und Augen, so blaugrau wie der Winter. Er sieht zwar gut aus, aber sie ist nicht sicher, wie sie ihn einschätzen soll, sofern es überhaupt möglich ist, einen Menschen anhand seines Führerscheinfotos zu beurteilen. Er wirkt irgendwie kalt, denkt sie, aber sie bekommt es nicht genau zu fassen, und das löst in ihr ein unbehagliches Gefühl aus.
»Siehst du? Das ist es, was ich komisch finde«, fährt Marino fort: »Die oberste Schublade ist wie eine Art Schrein für ihren Vater. Diese T-Shirts …« Er hält einen dünnen Stapel ordentlich gefalteter Herrenunterhemden hoch. »… Größe L, von einem Mann, vielleicht von ihrem Dad. Einige haben Flecken oder Löcher. Und Briefe.« Er reicht Scarpetta etwa ein Dutzend Kuverts, von denen einige offenbar Grußkarten enthalten, alle mit einer Adresse in Charleston als Absender. »Und dann ist da noch das da.« Seine dicken weißen, baumwollumhüllten Finger holen eine verwelkte langstielige Rose hervor. »Fällt dir dasselbe auf wie mir?«
»Sie scheint nicht sehr alt zu sein.«
»Genau.« Vorsichtig legt er die Blume zurück in die Schublade. »Zwei bis drei Wochen? Du züchtest doch Rosen«, fügt er hinzu, als ob sie deshalb auch Expertin für verwelkte Exemplare wäre.
»Ich kann es
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