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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Stahlblech und war mit Resten menschlicher Asche und Knochenstaub bedeckt. Für gewöhnlich stand auch eine Bahre in dem engen alten Eisenaufzug herum, denn wen interessierte es schon, was Pogue darin vergaß.
    Tja, sie interessierte es. Leider.
    An dem Vormittag, an den Pogue gerade denkt, während er in seiner Wohnung in Hollywood im Liegestuhl sitzt und seinen Baseballschläger mit einem Taschentuch poliert, trat sie aus dem Lastenaufzug. Sie trug einen langen weißen Labormantel über ihrem grünen OP-Anzug, und er wird nie vergessen, wie lautlos sie über den braun gefliesten Boden der unterirdischen fensterlosen Welt glitt, in der er seine Tage und später auch einige seiner Nächte verbrachte. Sie hatte Schuhe mit Gummisohlen an den Füßen, vermutlich weil man darin nicht so leicht ausrutschte und seinen Rücken schonte, wenn man stundenlang im Autopsiesaal stand und Menschen aufschnitt. Seltsam, dass das Aufschneiden von Menschen bei ihr in Ordnung geht, nur weil sie Ärztin ist, während Pogue überhaupt nichts vorzuweisen hat. Er hat nicht einmal die Highschool abgeschlossen, obwohl in seinem Lebenslauf etwas anderes steht, eine von vielen Lügen, auf die ihn nie jemand angesprochen hat.
    »Wir dürfen die Bahre nicht mehr im Aufzug lassen«, sagte sie zu Pogues Chef Dave, einem seltsamen, gebeugten Mann mit dunklen Ringen unter den Augen und schwarz gefärbtem, steif gegeltem Haar. »Offenbar handelt es sich bei dem Wagen um den, den Sie im Krematorium benutzen, und deshalb ist der Aufzug voller Staub. Das sieht unmöglich aus und ist außerdem gesundheitsschädlich.«
    »Aber sie ist doch gar nicht im Aufzug.« Dave warf einen bedeutungsschwangeren Blick auf die Bahre, die – zerkratzt, zerbeult und mit rostigen Scharnieren – mitten im Raum stand. Darauf lag eine zusammengeknüllte durchsichtige Plastikhülle.
    »Es ist mir nur gerade eingefallen, und deshalb wollte ich es Ihnen gleich sagen. Der Aufzug wird zwar bloß von den wenigsten in diesem Gebäude benutzt, aber wir sollten trotzdem auf Sauberkeit und Hygiene achten«, sagte sie.
    In diesem Augenblick wurde Pogue klar, dass sie seine Tätigkeit als unhygienisch betrachtete. Wie sonst sollte er eine solche Bemerkung verstehen? Der Witz an der Sache allerdings war, dass die Medizinstudenten ohne die an die Wissenschaft gespendeten Leichen nichts zum Sezieren hätten. Und was würde dann aus Kay Scarpetta werden? Was würde sie ohne Edgar Allan Pogues Leichen anfangen, auch wenn sie während ihres Medizinstudiums noch keine Bekanntschaft mit ihnen machen konnte? Denn das war vor seiner Zeit und außerdem nicht in Virginia gewesen. Sie hat nämlich in Baltimore Medizin studiert, nicht in Virginia, und ist etwa zehn Jahre älter als Pogue.
    Obwohl sie an diesem Tag nicht mit ihm gesprochen hat, kann er ihr keine Arroganz vorwerfen. Sie hat immer laut und deutlich »Hallo, Edgar Allan« und »Guten Morgen, Edgar Allan« und »Wo ist Dave, Edgar Allan?« gesagt, wenn sie der Anatomie aus irgendeinem Grund einen Besuch abstattete. An diesem Tag allerdings hat sie kein Wort mit ihm gewechselt, als sie, die Hände in den Taschen ihres Labormantels, über den braunen Fußboden eilte. Vielleicht lag das ja daran, dass sie ihn nicht gesehen hat. Aber sie hat auch nicht Ausschau nach ihm gehalten. Hätte sie es nämlich getan, dann hätte sie ihn am Ofen angetroffen, wo er Asche und die Knochenstückchen zusammenfegte, die er gerade mit seinem Lieblings-Baseballschläger zertrümmert hatte.
    Der springende Punkt ist, dass sie nicht hingeschaut hat. Nein, das hat sie nicht. Er hingegen hatte den Vorteil, von der dämmrigen Betonnische, wo der Ofen stand, direkten Blick auf den Hauptraum zu haben, wo Dave gerade die rosafarbene alte Frau an den Haken aus der mit Formalin gefüllten Wanne hochzog. Die motorgetriebenen Winden und Ketten rasselten gleichmäßig vor sich hin, während die Leiche rosig durch die Luft schwebte, Arme und Knie angezogen, als säße sie immer noch in der Wanne. Das Licht der Neonröhren brach sich in der stählernen Identifikationsmarke, die an ihrem rechten Ohr baumelte.
    Pogue konnte sich eines Anflugs von Stolz nicht erwehren, als er die schwebende Leiche beobachtete, bis er Scarpetta plötzlich sagen hörte: »Im neuen Gebäude wird das anders werden, Dave. Wir stapeln sie auf Bahren in einem Kühlraum so wie die anderen Leichen auch. Das hier ist pietätlos und mittelalterlich. Es gehört sich nicht.«
    »Ja, Ma’am. Ein

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