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Staub

Staub

Titel: Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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brauner Umschlag. Darin steckt die Bleistiftzeichnung von dem Auge, die an der Tür befestigt gewesen ist. Der Polizist hat sie nicht mitgenommen. Gut gemacht, Rudy. Nun kann sie die Zeichnung testen, auch auf die Gefahr hin, dass sie dabei zerstört wird. Als sie durch das Fenster das Haus ihrer Nachbarin betrachtet, fragt sie sich, ob Kate inzwischen allmählich wieder nüchtern ist oder ob sie glaubt, dass sie sich nüchtern trinken kann – was halt so in den Köpfen von Betrunkenen vorgeht. Beim bloßen Gedanken an den Geruch von Champagner wird Lucy flau im Magen, und Angst überkommt sie. Sie weiß Bescheid über Champagner und wie man sich anderen Menschen an den Hals wirft, weil die mit zunehmendem Alkoholpegel immer besser aussehen. Damit kennt sie sich aus, und es ist eine Erfahrung, die sie ungern wiederholen würde. Wenn sie sich daran erinnert, könnte sie im Erdboden versinken.
    Sie ist froh, dass Rudy unterwegs ist. Wenn er wüsste, was gerade geschehen ist, würde es Erinnerungen in ihm wachrufen. Dann würden sie beide in Schweigen verfallen, das immer tiefer und undurchdringlicher wird, bis sie sich schließlich streiten, um nicht mehr daran denken zu müssen. Wenn sie betrunken war, hat sie sich genommen, was sie zu wollen glaubte, nur um später festzustellen, dass sie es eigentlich gar nicht wirklich wollte, sondern eher Abscheu oder Gleichgültigkeit empfand. Vorausgesetzt, sie konnte sich überhaupt daran erinnern. Für einen Menschen, der den dreißigsten Geburtstag noch vor sich hat, hat Lucy eine Menge in ihrem Leben vergessen. Bei ihrem letzten Blackout ist sie auf einem Balkon, schätzungsweise im dreißigsten Stock, aufgewacht, nur mit einer Joggingshorts bekleidet und mitten in einer eiskalten New Yorker Nacht. Es war Januar. Vorangegangen war ein feuchtfröhlicher Tag in Greenwich Village – wo genau, weiß sie immer noch nicht und möchte es auch gar nicht herausfinden.
    Sie hat auch weiterhin keine Ahnung, was sie da draußen auf dem Balkon wollte. Möglicherweise hat sie sich auf dem Weg zum Klo in der Richtung geirrt und die falsche Tür aufgemacht. Sie hätte genauso gut über die Brüstung klettern können, in der Annahme, dass es der Badewannenrand ist. Dann wäre sie dreißig Stockwerke tief in den Tod gestürzt. Ihre Tante hätte die Autopsieberichte erhalten und mit ihrem Berufskollegen übereingestimmt, dass Lucy in betrunkenem Zustand Selbstmord begangen hat. Keine Untersuchung der Welt hätte zu Tage fördern können, dass Lucy nur in einer fremden Wohnung aus dem Bett einer Fremden, die sie irgendwo in Greenwich Village kennen gelernt hat, getaumelt ist, um aufs Klo zu gehen. Doch das ist eine andere Geschichte, und zwar eine, über die sie nur ungern nachdenkt.
    Es war die letzte dieser bitteren Episoden, denn Lucy hat den Alkohol zu ihrem Feind erklärt, um sich für all die Male zu rächen, die er sich gegen sie gewendet hat. Inzwischen trinkt sie nicht mehr. Allein das Aroma von Alkohol lässt sie an den säuerlichen Geruch von Menschen denken, die sie nicht geliebt hat und die sie im nüchternen Zustand nie angerührt hätte. Sie betrachtet das Haus ihrer Nachbarin, verlässt dann die Küche und geht hinauf in den ersten Stock. Wenigstens kann sie dankbar sein, dass bei der Entscheidung für Henri kein Alkohol im Spiel war.
    In ihrem Büro macht Lucy Licht und öffnet einen schwarzen Aktenkoffer von durchschnittlicher Größe. Allerdings ist es eine stabile Hartschalenversion, in der sich ein Fernüberwachungssystem befindet, mit dem sie heimlich drahtlose Funkempfänger auf der ganzen Welt abhören kann. Sie vergewissert sich, dass der Akku aufgeladen ist und das Gerät funktioniert, dass die vier Verstärker laufen und das Doppel-Kassettendeck auch aufnimmt. Dann schließt sie das Schaltpult an eine Telefonleitung an, schaltet den Empfänger ein und setzt Kopfhörer auf, um festzustellen, ob Kate im Fitnessraum oder im Schlafzimmer mit jemandem telefoniert. Aber das tut sie nicht, und bis jetzt ist auch noch kein Gespräch aufgezeichnet worden. Lucy setzt sich an einen Tisch im Büro, betrachtet das Sonnenlicht, das sich im Wasser spiegelt, und die Palmen, die sich im Wind wiegen, und lauscht. Nachdem sie die Empfindlichkeit des Empfangs eingestellt hat, wartet sie ab.
    Als weiterhin Schweigen herrscht, nimmt sie die Kopfhörer ab und legt sie auf den Tisch. Sie steht auf und stellt das Schaltpult auf den Tisch, wo sie den Krimesite-Imager aufgebaut hat. Die

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