Stauffenbergs Gefaehrten
gewesen, erklärt er Ingrid: »Nun, wo ich es erreicht habe, sieht es ganz anders aus. Nun liegt eine weite, nebelhafte Zukunft vor mir. Kein leuchtendes Ziel ist mehr in der Ferne. Es gibt nur noch, seine Pflicht an jedem Platz zu erfüllen und sich ganz für die Sache einzusetzen.« Den Brief schreibt er an Hitlers Geburtstag, dem 20. April. Eine Begründung für die Ernüchterung liefert Oertzen am 23. Juli1943 , als er Ingrid gesteht, wie sehr ihn die Atmosphäre des Stabes beeindrucke, »die von geistig hochstehenden und starken Persönlichkeiten wie Tresckow, Schlabrendorff und Kleist« ausgehe. Sie habe seine Einstellung in vielen Dingen über den Haufen geworfen. Er habe mit Menschen zu tun, »die auf den Kern« sehen, bei denen »ÃuÃerlichkeiten nicht über das Wesen hinwegtäuschen« könnten.
Â
II.
Es gehört zu den Konstanten im Leben Hans-Ulrich von Oertzens, dass er trotz seines Selbstbewusstseins die Nähe zu starken Persönlichkeiten suchte, die ihm Halt und Orientierung geben konnten. Sein Vater Ulrich, ein Offizier, fiel im Ersten Weltkrieg, ohne ihn gesehen zu haben. Mutter Elisabeth, eine Malerin, hatte es nicht leicht, doch sie erzog ihren am 6. März 1915 in Berlin geborenen Sohn zu einem traditionsbewussten Menschen. Die Kindheit auf dem Gut seines Onkels im mecklenburgischen Rattey prägte ihn ebenso stark wie die humanistische Bildung im Internat Salem am Bodensee. Seine Aufnahme dort im Mai 1929 war nur möglich durch ein Stipendium. Hilfe erhielt er auch von Edgar Röhricht, einem Mitarbeiter der Presseabteilung im Reichswehrministerium und Bekannten der mittellosen Mutter, der sich um den vaterlos aufgewachsenen Oertzen kümmerte.
Mit den Anforderungen in Salem kam Oertzen bestens zurecht. Das Konzept von Schulgründer Kurt Hahn sah neben dem Fördern musischer und handwerklicher Fähigkeiten sowie dem akademischen Unterricht auch Formen der Mitverantwortung und viel Sport vor, um den Schülern Mut, Fairness und Kooperation nahezubringen. Oertzen zeichneten bereits früh starker Wille und Energie aus. »Er ist einer der Klügsten von uns gewesen«, lobt seine Klassenkameradin Georgia, die Tochter des Architekten Mies van der Rohe. Und er registrierte genau, was auÃerhalb der Internatsmauern passierte. Während seiner Schulzeit gewannen die Nationalsozialisten enorm an Zustimmung. Oertzen reagierte wie viele junge Menschen seiner Zeit mit Neugier und Begeisterung auf deren Parolen.
Das bekam Hauptmann Edgar Röhricht bei einem Treffen Weihnachten 1932 zu spüren. Als Anhänger des Kanzlers Kurt von Schleicher stand er der NS -Bewegung kritisch gegenüber. Seine Gespräche mit Oertzen notierte er im Tagebuch. »Verbeamtet seid Ihr, zu hoffnungslosen SpieÃern geworden, wirft man Euch vor! DrauÃen aber herrscht frischer Wind, Sturm soll es demnächst geben, der Euch hinwegfegt, so sagen die Leute. Und man merkt es denen auch an, daà ihre Auslese anders vor sich geht, dafür aber rascher«, hielt Oertzen ihm demnach bei dem Treffen vor.
»Lockt Dich das Tempo?«, konterte der väterliche Freund. »Dann sieh Dir die Brüder doch einmal genauer an, die dort jetzt nach oben drängen! Bisher stelltest Du höhere Ansprüche.«
»Wir sind ja noch âºbehütete Bubenâ¹ hinter unseren Schulmauern«, gestand Oertzen zu. »Aber einiges dringt auch zu uns durch, und wer will verhindern, daà man sich Gedanken macht?« Da komme so ein Mann wie Hitler, der es nicht einmal zum Offizier gebracht habe. »Und solch ein Nichts stellt sich eines Tages hin, einfach hin vor die fremden Leute und sagt, was er über die Verhältnisse denkt. Erst ist es eine Handvoll, die ihm zuhört, dann schon mehr, bald Tausende, und nun geht es in die Millionen. Dazu gehört doch etwas Besonderes, was die anderen nicht haben.«
Im April 1933 verlieà Hans-Ulrich von Oertzen Salem mit dem Abitur und schlug die Militärlaufbahn ein. Vorbild dafür mag der Vater gewesen sein, den er nie kennengelernt hatte, dem er sich aber nahe fühlte â deshalb wollte er wie dieser nur »Ulrich« genannt werden. Röhricht fuhr Oertzen zur ersten Dienststelle, der 6. Nachrichtenabteilung in Hannover. Die Zielstrebigkeit seines Zöglings, den er gern den »kleinen Bonaparte« nannte, beeindruckte ihn, wie er in seinen Notizen vermerkt: »Ulrich besitzt das,
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