Staunen über den Erlöser
Jahrhundert.
Mein Freund Sebastão hatte mich in seinen Heimatort Marecã eingeladen, ein kleines Nest gut hundert Kilometer von Rio de Janeiro entfernt. Er war ein 26 Jahre alter Fabrikarbeiter, der unsere Gemeinde besuchte und in einem Bibelkreis war. Groß gewachsen, schlaksig und langsam in seiner Sprache, war er nicht der typische Großstadtmensch. Er war eine zu ehrliche und schlichte Haut und zu schnell dabei mit einem Lächeln, um aus dem Dschungel der Großstadt zu kommen.
Ich begrüßte diese Möglichkeit, etwas von der brasilianischen Provinz zu sehen. Was ich nicht ahnte, war, dass ich hier eine wichtige Glaubenslektion lernen würde.
Ich spürte, wie meine Nackenmuskeln sich entspannten, als Rio und sein stinkendes Verkehrschaos im Rückspiegel verschwanden. Es ging auf und ab durch eine zunehmend liebliche Landschaft, die auch irgendwo in Kentucky hätte sein können. Hohes, grünes Gras, breite Täler, freundliche Hänge, auf denen rotbraune Rinder grasten.
Bald verließen wir die vierspurige Straße und bogen auf eine normale Landstraße ein, dann, nach einem halben Dutzend »rechts halten« und »links abbiegen«, auf einen einspurigen Fahrweg.
»Ich komme meistens mit dem Bus«, erklärte Sebastão, »und dieses letzte Stückchen laufe ich.« Das »Stückchen« war mindestens sieben Kilometer lang. Irgendwo auf dem staubigen Weg passierten wir einen jungen Burschen, der ein mit zwei Milchkannen beladenes Maultier führte. »Das ist mein Vetter«, sagte Sebastão, »der kommt jeden Morgen und bringt frische Milch.« Die schmale Straße führte uns durch ein Meer aus Farben; die weißstämmigen Eukalyptusbäume standen wie Kerzen auf einem Geburtstagskuchen auf den dunkelgrünen Weiden; der brasilianische Himmel war tiefblau, die Hügel rot.
»Halt«, instruierte Sebastão mich. Ich hielt vor einem großen Holztor an. »Augenblick, ich mach nur eben das Tor auf.«
Wenn die Straße, auf der wir hierhergekommen waren, schmal gewesen war, dann war der Weg vom Tor zum Haus unsichtbar. Einen Jeep müsste man haben, dachte ich, als wir in meinem VW über das Gras holperten, uns zwischen Sträuchern und unter Bäumen hindurchzwängten, bis wir schließlich zu einer Lichtung kamen und vor einem alten Steinhaus anhielten.
Sebastãos Vater, Senhor José, erwartete uns. Er sah jünger aus als seine über siebzig Jahre. Er begrüßte uns mit einem zahnlosen, aber herzlichen Lächeln. Auf seinem Kopf saß ein alter Strohhut, seine breite Brust und schmale Taille zeugten von tausenden Stunden Hacken und Pflanzen. Seine nackten Plattfüße hatten die gleiche Farbe wie der Boden und seine Hände waren schwielig und groß.
»Schön, dass Sie gekommen sind«, sagte er. Es klang ehrlich.
Das kleine Haus erinnerte mich an die Bilder von Häusern zu Hause in Amerika, die ich in Büchern über die Weltwirtschaftskrise gesehen hatte. Petroleumlampen (nein, Strom gab es hier nicht). Waschschüsseln zum Händewaschen (kein fließendes Wasser). An einer der Wände lehnte eine Galerie aus alten Hacken, Schaufeln und Spitzhacken (keine modernen Geräte). Die Küche war ein separater Schuppen, der neben der Haustür stand. Der Herd war aus Lehm und vielleicht 1,20 Meter lang und knapp einen Meter hoch, mit einer Art Rinne in der Mitte für das Feuerholz. Die Töpfe, in denen die Bohnen und der Reis gekocht wurden, standen über dieser Feuerrinne. Rio schien auf einmal auf der anderen Seite der Erde zu liegen.
Senhor José zeigte mir seine kleine Welt. Seit 37 Jahren bebaute er seine 80 Ar und kannte jeden Maulwurfshügel.
Er tätschelte einen Salatkopf. »Von diesem Land hab ich vierzehn Münder gefüttert«, lächelte er. »Wo sind Sie nochmal her?«
»Aus den USA.«
»Und was machen Sie da so?«
Ich erzählte ihm von meiner Arbeit. Er antwortete nicht, sondern führte mich zu einem kleinen Bach, wo er sich auf einen Stein setzte und anfing, sich auszuziehen.
»Willst du baden, Papa?«, fragte Sebastão.
»Ja. Es ist Samstag.«
»Gut. Wir sehen uns dann nachher wieder im Haus.«
Sebastão führte mich durch eine kleine Rohrzuckerpflanzung. Er schnitt einen Stängel ab, schälte ihn und gab mir ein Stück zum Probieren. Wir gingen zurück zum Haus und setzten uns an den Esstisch, der draußen stand. Die Bänke waren vom jahrzehntelangen Sitzen abgewetzt.
Senhor José kam zurück, mit sauberen Hosen, ohne Hut und nassem Haar.
Obwohl wir eine halbe Stunde nicht mehr miteinander geredet hatten, führte er das
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