Staunen über den Erlöser
»Abba, Vater«, sagte er, »dir ist alles möglich. Lass diesen Leidenskelch an mir vorübergehen. Doch dein Wille geschehe, nicht meiner.« Als er zurückging, fand er die Jünger schlafend. »Simon!«, sagte er zu Petrus. »Schläfst du etwa? Konntest du nicht eine einzige Stunde mit mir wachen? Seid wachsam und betet, sonst wird euch die Versuchung überwältigen. Denn der Geist ist zwar willig, aber der Körper ist schwach.« Danach ging er wieder weg und betete noch einmal und wiederholte seine Bitte. Als er wieder zu ihnen zurückkehrte, waren die Jünger wieder eingeschlafen, denn sie konnten ihre Augen nicht mehr offen halten. Und sie wussten nicht, was sie ihm antworten sollten. Als er das dritte Mal zu ihnen zurückkam, sagte er: »Schlaft ihr noch immer? Ruht ihr euch immer noch aus? Genug damit! Es ist so weit. Der Menschensohn wird in die Hände der Sünder ausgeliefert. Kommt, lasst uns gehen. Der Verräter ist da!«
(Markus 14,32-42)
Schauen Sie sich diese Sätze an. »Schreckliche Furcht und Angst ergriff ihn.« »Meine Seele ist zu Tode betrübt.« »Er ging ein Stück weiter und warf sich zu Boden.«
Ist das der Jesus mit dem Heiligenschein, der gelassen in der Hand seines Vaters ruht? Wohl kaum. Markus benutzte dunkle Farben, um die Szene zu beschreiben. Wir sehen einen gequälten, kämpfenden Jesus. Wir sehen einen »Mann der Schmerzen« (Jesaja 53,3). Wir sehen einen Menschen, der mit der nackten Angst kämpft, mit seiner Aufgabe ringt und drauf und dran ist, aufzugeben.
Wir sehen Jesus im Nebel des zerbrochenen Herzens.
Später schrieb der Verfasser des Hebräerbriefes: »Solange Jesus hier auf der Erde lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen seine Gebete und Bitten an den einen gerichtet, der ihn aus dem Tod befreien konnte« (Hebräer 5,7).
Was für ein Porträt! Jesus in größter Not, Jesus auf der Bühne der Angst. Er trägt nicht den Purpur der Göttlichkeit, sondern den Mantel der Menschlichkeit.
Wenn Sie das nächste Mal im Nebel stecken, denken Sie an Jesus in dem Garten. Wenn Sie das nächste Mal den Eindruck haben, dass niemand Sie versteht, lesen Sie das 14. Kapitel des Markusevangeliums. Wenn Ihnen das Selbstmitleid das nächste Mal einredet, dass Sie allen egal sind, machen Sie einen Besuch in Gethsemane. Und wenn Sie sich das nächste Mal fragen, ob Gott wirklich weiß, wie viel Schmerz und Elend es auf diesem staubigen Planeten gibt, hören Sie ihm zu, wie er unter den knorrigen Bäumen schreit und weint.
Es wirkt Wunder für unser eigenes Leiden, wenn wir Jesus im Garten Gethsemane betrachten. Nie ist Gott mehr Mensch gewesen als in dieser Stunde. Nie war er uns näher als damals, als er litt. Seine Fleischwerdung ist nirgends so vollkommen gewesen wie in diesem Garten.
Und das ändert alles. Die Zeiten, die wir in dem Nebel verbringen, sind womöglich Gottes größtes Geschenk an uns. Sie können zu der Stunde werden, in der wir das Gesicht unseres Schöpfers erblicken. Wenn es wahr ist, dass Gott uns Menschen im Leiden am ähnlichsten wird, dann sehen wir ihn vielleicht in unserem Leiden deutlicher als je zuvor.
Wenn Sie das nächste Mal leiden müssen, passen Sie gut auf. Es könnte sein, dass Gott Ihnen noch nie so nahe war. Schauen Sie genau hin. Es könnte gut sein, dass die Hand, die sich Ihnen entgegenstreckt, um Sie aus dem Nebel herauszuführen, eine durchbohrte Hand ist.
Kapitel 26
Pão, Senhor?
Er konnte nicht älter sein als sechs Jahre. Schmutziges Gesicht, barfuß, zerrissenes T-Shirt, verfilztes Haar. Er war nicht viel anders als die anderen hunderttausend Waisenkinder, die durch die Straßen von Rio de Janeiro stromern.
Ich war auf dem Weg in ein nahe gelegenes Café, um eine Tasse Kaffee zu trinken, als er mich einholte. Ich war mit meinen Gedanken woanders, irgendwo zwischen der Sache, die ich gerade erledigt hatte, und der Gruppe, die ich gleich unterrichten würde, und spürte kaum das leichte Klopfen an meiner Hand. Doch nach ein paar Schritten kam das Klopfen wieder, diesmal hartnäckiger. Ich blieb stehen und schaute nach unten. Da stand er. Seine verdreckten Wangen und sein rabenschwarzes Haar ließen seine Augen noch weißer erscheinen.
»Pão, Senhor?« (»Haben Sie Brot, Herr?«)
In Brasilien vergeht kaum ein Tag, wo man keine Gelegenheit hat, einem dieser armen Kleinen ein Butterbrot oder eine Süßigkeit zu kaufen. Es ist das Mindeste, was man tun kann. Ich forderte den Jungen auf, mitzukommen, und wir betraten das
Weitere Kostenlose Bücher