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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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mysteriösen Selim herauszubekommen, begann er gegen neun widerwillig, im Zimmer seiner Tochter herumzusuchen. Vielleicht hatte sie irgendwo so etwas Altmodisches wie ein Adressbuch? Er fand keines, nichts, was über die Handynummer, Adresse oder Identität von «Selim» Aufschluss geben konnte. Dafür aber ein Päckchen Marihuana in der Schreibtischschublade. Zehn Gramm nur, schätzte er, nicht der Rede wert. Aber er wollte so etwas einfach nicht bei seiner Tochter finden.
    Von den Wänden des neuerdings dunkellila gestrichenen Zimmers glotzten ihn künstlerisch gestaltete, alienartige Monster an, dazwischen singende, zottelhaarige Männer in Schwarz, die mit kalkweißer Schminke und schwarzem Kajalstift ihr Bestes taten, so ungesund und verrucht wie nur möglich auszusehen. Vor einiger Zeit hatten hier noch typische Teenie-Poster gehangen: Pferde, der Harry-Potter-Schauspieler, Britney Spears.
    Winter war gerade dabei, im Regal zu stöbern, als die Tür aufging. Er drehte sich um und sah seiner Tochter ins Gesicht.
    «Was machst’n du hier?», blaffte sie ihn an. «Ey, schnüffelst du hier rum, oder was? Das darf doch nicht wahr sein. Ihr seid doch solche Arschlöcher.» Sie zog ihren Mantel aus und warf ihn aufs Bett. Darunter sah sie aus wie aufgemacht für den Straßenstrich.
    «Beruhig dich», sagte er. «Ich habe hier lediglich die Telefonnummer deines neuen Freundes Selim gesucht. Dir ist es vielleicht nicht bewusst, aber deine Mutter liegt seit Stunden wegen dir im Bett und weint.»
    «Na und? Ist mir doch scheißegal.» Das brüllte sie fast. Winter traute seinen Ohren kaum, so wenig hörte sich diese harsche Stimme wie die seiner Tochter an.
    «Hast du was genommen, Sara?», fragte er. «Ist dir eigentlich bewusst, wie du wirkst?»
    Statt einer Antwort schleuderte sie Winter mit voller Kraft einen ihrer Stilettostiefel ans Bein, die sie gerade im Begriff war auszuziehen. «Sara», sagte er leise, «Sara, stopp.»
    In dem Moment klingelte sein Handy. Er seufzte und griff zum Hosenbund
    «Winter.»
    «Aksoy hier. Gut, dass ich Sie jetzt noch erwische. Ich wollte nur sagen, ich habe auf dem Nachhauseweg diverse Heime und Wohngruppen für Mädchen abgeklappert. Gerd Weber hatte mir nämlich gesagt –»
    «Wie, was hat Ihnen Gerd gesagt?»
    «Die Infos aus der Obduktion. Ich habe ihn vorne am Eingang noch getroffen, als er gerade am Gehen war. Da hat er mir dies und jenes erzählt. Zusammen mit der Tatsache, dass wir keine Vermisstenmeldung haben, hörte sich das für mich so an, als hätte das Opfer nicht mehr bei den Eltern gelebt. Weil, die Misshandlungen stammen ja wahrscheinlich von den Eltern, und die haben vor ein paar Jahren aufgehört. Also ist sie seit längerem von zu Hause weg. Prostitution hat sie aber nicht betrieben, sie war ja noch Jungfrau. Drogen bislang ebenfalls Fehlanzeige. Für mich blieb da eigentlich nur, dass sie in einem Heim wohnt. Egal, jedenfalls wollte ich Ihnen sagen, ich war heute Abend bei allen einschlägigen Heimen und Mädchenwohngruppen oder habe angerufen, die Liste kriegen Sie morgen, und dort wird niemand vermisst.»
    «Na herzlichen Dank. Woher wussten Sie eigentlich, dass ich noch keinem Kollegen genau diesen Auftrag gegeben hatte? Sie halten das wohl für besonderen Einsatz, was Sie da gemacht haben. In Wahrheit ist das schlechte Teamarbeit. Ich würde Sie doch sehr bitten, sich solche Privataktionen künftig zu verkneifen. Schönen Feierabend.» Er drückte das Gespräch weg.
    Sara saß inzwischen auf ihrem Bett und hatte eine rosa Fleecejacke übergezogen. Trotz der Schminke wirkte sie unglaublich jung und unglaublich zerbrechlich. Winter musste lächeln und zwinkerte ihr mit einem Auge zu. Sie drehte ihr Gesicht weg. Plötzlich sah sie aus wie früher die schmollende Vierjährige, kurz bevor sie sich weinend ihrem Papa in die Arme warf. «Mein Hase», sagte er sanft. Eine Last fiel von ihm ab. Dann drückte er, noch immer mitten im lila Zimmer seiner Tochter stehend, die Rückruftaste.
    «Frau Aksoy? Winter. Ich wollte mich für den Ton eben entschuldigen. Ich glaube, ich war etwas heftig. Ihre Idee war an sich gut. Aber Sie hätten sich natürlich mit mir absprechen müssen. Also, haben wir uns verstanden?»
    «Alles klar, Chef. Ich wollte sowieso vorher fragen, aber dann war die ganze Zeit besetzt, und ihre Festnetznummer hatte ich nicht.»
    «Chef» hatte sie zu ihm gesagt. Winter wusste nicht so recht, was er davon halten sollte.
    Aber im Augenblick war

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