Staustufe (German Edition)
Opfer wohl seit vielen Jahren gefangen gehalten, sodass sie in der Umgebung, in der sie gelebt hatte, völlig unbekannt war. Das ist in dem jetzigen Fall aber ganz anders.»
«Verzeihung», unterbrach Fock irritiert, «darf ich fragen, wer Sie eigentlich sind?»
«Das ist Kriminalkommissarin Aksoy vom KDD», mischte sich Winter ein. «Sie hat gestern einen Großteil der Ermittlungen erledigt und war deshalb so freundlich, uns heute früh in ihrer Freizeit für das Briefing zur Verfügung zu stehen. – Frau Aksoy, ich glaube, Sie waren noch nicht fertig?»
Aksoy nickte. «Was ich sagen wollte, war: Wir haben in dem jetzigen Fall eine Leiche, deren Gesicht gezielt unkenntlich gemacht wurde. Daraus kann man ableiten, dass es Personen gibt, denen sowohl das Opfer als auch die Täter-Opfer-Beziehung bekannt sind. Der Täter wollte sich davor schützen, dass diese Personen ihn mit der Tat in Verbindung bringen. Daher hat er dem Mädchen das Gesicht eingeschlagen. Aber glücklicherweise weist die Leiche ja noch andere charakteristische Merkmale auf. Wir werden das Mädchen bei ausreichenden Ermittlungen und einer Fahndung also bestimmt identifizieren können. Das wiederum dürfte uns auf die Spur des Täters führen.»
Fock sah derweil gereizt auf seine Uhr, als wolle er demonstrieren, dass Aksoys Ausführungen bloß seine Zeit stahlen. «Und wen wollen Sie befragen?», sagte er, wieder aufblickend, in sarkastischem Ton. «Ganz Frankfurt, nehme ich an? Damit sind Sie bis in alle Ewigkeit beschäftigt. Aber Sie sind ja auch vom Kriminal dauer dienst, haha.»
Amüsiertes Raunen ging durch den Raum.
«Das dürfte nicht nötig sein», meldete sich Winter, der während Aksoys Rede aufgestanden war und Täter-Opfer-Beziehung anderen bekannt als Punkt auf das Flip-Chart gekritzelt hatte. Er hatte hier schon die bisherigen Erkenntnisse überblicksartig aufgelistet.
«Sie haben wahrscheinlich alle mein Handout noch nicht ganz gelesen», sagte er und wendete sich Fock zu. «Wir haben eine neue Spur. Mit etwas Glück werden wir heute noch die Identität des Mädchens klären können. – Markus, übernimmst du?»
Pietsch vom Erkennungsdienst richtete sich, lang und dürr, wie er war, aus seiner lümmelnden Position etwas auf und räusperte sich. Dann erst nahm er die kalte Zigarette aus dem Mund.
«Wir bekamen ja gestern die Fundstücke auf den Tisch. Darunter war so ein Polyester-Hüftgurt, in dem man Geld oder Ähnliches aufbewahrt. Der Reißverschluss stand halb offen. Das heißt, es könnte im Wasser was rausgefallen sein. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Täter die Tasche geleert hat. Jedenfalls war da nichts mehr drin außer ein paar aufgeweichten Fahrkarten. Alles Frankfurter RMV-Tickets. Soweit noch leserlich, am Südbahnhof gelöst oder dem S-Bahnhof Griesheim, zwischen diesen Stationen ist sie wohl öfter hin- und hergefahren. Auf einigen der Karten waren so mysteriöse Verunreinigungen zu sehen. Deshalb bin ich heute Vormittag, als wir von dem anderen Einsatz zurück waren, noch mal mit dem Mikroskop drüber. Und siehe da, auf einer der Karten war ausgewaschene Kugelschreibertinte zu finden. Da hatte jemand eine Adresse notiert, und zwar» – er blickte auf das Handout – «Haeussermannstraße 14».
«Das ist keine zweihundert Meter vom Leichenfundort», ergänzte Winter trocken.
«Na, liebe Leute», rief Fock, plötzlich euphorisch, «dann nichts wie auf zu der Adresse! Da werden uns ja Täter und Tatort auf dem Silbertablett serviert!» Er rieb sich die Hände.
«Ganz so weit sind wir noch nicht», hakte Winter ein. «Es handelt sich bei der Adresse um einen Mietwohnungsblock mit schätzungsweise zehn Parteien. Die müssen alle befragt werden und womöglich auch weitere Nachbarn. Außerdem brauchen wir vor der Befragung ein Foto von den Kleidern, die das Mädchen zuletzt anhatte. Drittens müssen wir von der Möglichkeit ausgehen, dass der Täter die Polyestertasche geleert hat, bevor er das Opfer in den Main warf. Es könnte sein, dass er den Inhalt irgendwo in der Nähe des Ablageortes oder auch des Tatortes entsorgt hat. Also brauchen wir jemanden, der in der Umgebung sowohl der Staustufe als auch der fraglichen Wohnungsadresse die Mülleimer prüft. Vielleicht findet sich da irgendwo ein Portemonnaie. Auch Oberbekleidung des Mädchens könnte im Müll entsorgt worden sein, vielleicht sogar das Tatmesser. Am Montag ist Leerung, ich habe mich bei der Stadt bereits erkundigt.»
Fock fingerte
Weitere Kostenlose Bücher