Steam & Magic 01 - Feuerspiel
»Aber wäre alles das nicht leichter, wenn man ein bisschen mehr darüber wüsste? Zum Beispiel kann man mehr Spiele spielen, wenn man die Regeln lesen kann. Habe ich nicht Recht? Und was ist mit all den Büchern auf Latein, Griechisch oder Französisch? Würdest du die nicht auch gerne lesen können?« Sie wandte sich an die Mädchen. »Um Maschinenbau zu studieren, braucht man die höhere Mathematik, und da drüben im Eck steht ein äußerst hübsches Pianoforte. Unterricht an diesem Instrument wäre doch sicher hilfreich für eine Sängerin.«
Die Kinder überlegten.
Caroline fuhr fort: »Und natürlich gibt es tausend dumme Dinge zu lernen – zum Beispiel, welche Gabel man für Krustentiere verwendet oder wie man sich ordentlich in einem Brief bedankt. Völlig sinnlos, aber die Leute erwarten nun einmal, dass man diese Dinge weiß. Ihr wollt Sir Merrick oder Miss Hadrian doch sicher nicht in Verlegenheit bringen, oder? Sie würden einen äußerst schlechten Eindruck machen, wenn ihre Mündel sich nicht anständig benehmen könnten.«
»Sie hat Recht.« Das älteste Mädchen nickte entschieden. »Wir dürfen Sir Merrick nicht in Verlegenheit bringen.«
Die anderen überlegten kurz und nickten mit finsteren Mienen.
»In Ordnung.« Der kleinste Junge blickte traurig zu Caroline auf. »Aber können wir trotzdem noch ein bisschen spielen?«
Caroline legte die Hand auf seinen gesunden Arm. »Aber natürlich. Das Spiel ist ein wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens. Sir Merrick und Miss Hadrian finden sicher eine Gouvernante für euch, die sich Zeit nimmt, mit euch zu spielen, solange ihr auch fleißig lernt.« Auch wenn sie selbst diese Aufgabe nicht übernehmen konnte, würde Dorothy Hadrian ganz gewiss nicht zulassen, dass diesen verwaisten Kindern etwas zustieß. Trotzdem versetzte ihr der Gedanke an Gehen einen leichten Stich. Dieser buntgemischte Haufen hatte etwas Anrührendes. Eine Gruppe von Straßenkindern in salonfähige Ladys und Gentlemen zu verwandeln, wäre eine gewaltige, aber auch bereichernde Aufgabe für eine Lehrerin.
Merrick zog die Schultern ein, als die Kinder zur Tür stürzten. Das hier würde einer Einstellung von Miss Caroline Bristol den Gnadenstoß versetzen. Was im Übrigen besser war, ermahnte er sich. Sie war ganz eindeutig viel zu jung und viel zu attraktiv für eine fähige Gouvernante. Und er müsste sich ständig mit Fragen herumschlagen, ob sich ihr Goldhaar, das sie zu einem übertrieben unattraktiven Dutt im Nacken geschlungen hatte, so weich anfühlte, wie es aussah, oder ob ihre grünen Augen wirklich so leuchten konnten. Am meisten irritierte ihn jedoch ihre kraftvolle Ausstrahlung – etwas erweckte in ihm den Eindruck, dass sie nicht weniger begabt war als diese Kinder.
Erstaunlicherweise kamen die Kinder nach einer kurzen Unterhaltung alle einzeln zu ihr. »Ich bin Tommy«, erklärte Merricks neuer Protege. Dann schüttelte er Miss Bristol die Hand und stellte höflich alle anderen vor.
»Sehr erfreut, euch kennenzulernen.« Miss Bristol hatte ein paar Worte mit jedem Kind gesprochen, war aber zurückgewichen, anstatt George den Kopf zu tätscheln.
Nell kam zu Merrick, zupfte ihn am Ärmel und flüsterte: »Mama sagt, dass wir sie behalten sollen.«
Merrick nickte. Er hatte sich inzwischen schon fast an die Kommentare von Nells unsichtbarer Mutter gewöhnt. Miss Bristol hatte Nell offensichtlich auch gehört und blickte sich um.
»Nell sieht Geister.« Piers ließ sich auf einen Hocker vor Miss Bristol plumpsen und schnappte sich noch ein Sandwich. »Mit ihr spricht unsere Mama bis heute.«
»Tja, das scheint ein bisschen ungerecht, nicht wahr?« Miss Bristol fühlte ganz offensichtlich mit Piers. »Aber sicher sind die Botschaften auch für den Rest von euch gedacht.« Sie nahm die Erwähnung von Geistern hin, ohne mit der Wimper zu zucken, und stieg dadurch ein gutes Stück in der Achtung von Merrick.
»Meistens nur für Nell und Piers. Es ist ihre Mutter. Nicht vom Rest von uns.« Jamie wurde richtig gesprächig. »Aber meine Mama ist auch gestorben und sie redet nie mit mir.«
»Meine auch, mein Lieber.« Miss Bristol tätschelte sein Knie. »Aber bei jedem von uns ist es eben etwas anders, nicht wahr? Und jetzt habt ihr Miss Hadrian und Sir Merrick, das ist euer großes Glück.«
»Bitte, Sir Merrick.« Aus dem Ärmelzupfen war ein Zerren geworden.
»Es tut mir leid, meine liebe – Nell, habe ich Recht? Aber ich bin nicht eure neue Gouvernante.«
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