Steam & Magic 01 - Feuerspiel
dünne Leder ihrer Handschuhe gar nicht berührt hatte.
»Setzen Sie sich doch, meine Liebe«, drängte Miss Hadrian, als ein Diener mit einem vollbeladenen Tablett hereinkam. »Sie trinken Ihren Tee mit einem Schuss Sahne und ohne Zucker, oder irre ich mich?«
»Ja, danke, Miss Hadrian.« Nur mit Mühe konnte Caroline den Blick von Sir Merrick lösen, um ihrer Freundin zuzulächeln und eine überraschend robuste und einfache Porzellantasse samt Untertasse entgegenzunehmen. Dann fiel ihr Blick auf das Tablett und endlich wurde sie abgelenkt. Sie musste sich ernsthaft zurückhalten, um nicht heißhungrig über die Platten herzufallen, auf denen sich Sandwiches und Süßgebäck türmten. Sie hatte seit dem Abendessen am Vortag nichts mehr zu sich genommen.
Sir Merrick nahm ebenfalls eine Tasse entgegen, doch Caroline bemerkte, dass er sie dabei keinen Augenblick aus den Augen ließ. »Vergeben Sie mir, Miss, aber Sie sind bedeutend jünger, als ich es bei einer Gouvernante erwartet hätte.« Seine dunklen Brauen zogen sich zusammen und seine vollen Lippen spitzten sich. »Meinen Sie sicher, dass Sie vier unbändige Kinder in Zaum halten können?«
Caroline gestattete sich ein angedeutetes Lächeln. Das Vorstellungsgespräch hatte also begonnen. »Mir sind noch keine Kinder begegnet, die ich nicht lehren konnte, vorausgesetzt, ihre Eltern oder Vormunde erlauben es mir.«
»Erlauben es Ihnen? Was meinen Sie denn damit?« Sein Ton, obgleich nie warm, wurde deutlich kühler.
Nach einem stärkenden Schluck von dem köstlichen Tee holte sie so tief Luft, wie es ihr Korsett erlaubte, und verfluchte sich für die Eitelkeit, die sie dazu verleitet hatte, es etwas enger als üblich zu zurren. »In einigen Haushalten dürfen Gouvernanten weder Strafen erteilen noch belohnen. Ich finde es schwierig, Kinder ohne diese Mittel zu bändigen.«
Sir Merrick versteifte sich noch mehr. »Und welche Art der Bestrafung empfehlen Sie?«
Jetzt war sie in ihrem Element. »Im Allgemeinen eine, die zu dem Vergehen passt. Tut ein Kind einem anderen weh, muss es ihm vielleicht zur Strafe für den Rest des Tages bei all seinen Aufgaben helfen. Wenn es jemanden beleidigt, könnte eine schriftliche Entschuldigung angebracht sein oder ein offenes Eingeständnis der Schuld, je nach dem, was besser passt. Das Verwehren von Vorrechten wirkt oft auch sehr gut – zum Beispiel zu Hause bleiben und bei Hausarbeiten helfen, während die anderen in den Park gehen.«
»Und keine körperliche Züchtigung?« Seine Miene war unergründlich und verriet nicht, ob ihm ihre Beispiele zusagten oder missfielen, obwohl die gängige Meinung war, »Wer mit der Rute spart, verzieht das Kind« – eine Haltung, der Caroline vehement widersprach.
Sie wählte ihre Worte mit Bedacht: »Ich habe bei Gelegenheit schon mal ein Kind gewaltsam festgehalten. Ich hatte ein Kleinkind, das sich auf die Straße stürzen wollte, und einen Jungen, der seinen kleinen Bruder hauen wollte. Beide haben wir damals leichte Kratzer davongetragen, aber wirklich geschlagen habe ich nie ein Kind. Ich bin mir bewusst, dass meine Einstellung radikal ist, aber sie ist mir heilig. Ich habe mich von Arbeitgebern getrennt, die auf körperliche Züchtigung bestanden, und werde das auch weiterhin so halten.«
Sir Merrick neigte den Kopf und stieß den Atem aus. »Schön. Haben Sie je ein Kind mit einer … besonderen Gabe unterrichtet?«
»Was für einer Gabe?« Sie biss sich auf die Unterlippe und schielte sehnsüchtig nach einer Zitronentarte auf dem Tablett. »Ich bin kein musikalisches Genie und könnte also nicht mehr als die Grundlagen unterrichten. Das Gleiche gilt für mein Talent im Zeichnen oder Malen. Dafür verfüge ich über ausgezeichnete Griechisch-, Latein- und Französischkenntnisse, ein umfangreiches Wissen in Geschichte, und mein Verständnis von Mathematik und Wissenschaft sollte ausreichend sein für die meisten jungen Kinder.«
»Ich glaube, mein Neffe meint übernatürliche Begabungen.« Miss Hadrian stellte einen Teller mit Häppchen zusammen und reichte ihn Caroline. »Ich weiß, wir haben im Lesezirkel schon darüber gesprochen, und Sie zeigten sich aufgeschlossen gegenüber diesem Phänomen.«
Caroline hob eine Braue, während sie einen Bissen Gurkensandwich mit Brunnenkresse schluckte und jeden Krumen genoss. Sie nutzte die Pause, um sich ihre Antwort zurechtzulegen. »Aufgeschlossen, ja. Aber ich gebe nicht vor, irgendwelche Erfahrungen oder Kenntnisse auf diesem
Weitere Kostenlose Bücher