SteamPunk 3: Argentum Noctis: SteamPunk (German Edition)
Männer pausenlos in unserem Garten Schlange stehen, um mich kennenzulernen. Das geht so, seit ich vierzehn bin!“
„Hätten sie dich gesehen, wären sie wohl kaum noch zu zivilisiertem Schlangestehen in der Lage gewesen“, rutschte mir heraus. Natürlich war das ein sehr unpassender, wenn auch tief empfundener Kommentar. Julie war für mich das schönste Wesen, dass ich mir vorstellen konnte. Eine junge Göttin. Für meine Augen war selbst Rachel ein hässliches Entlein gegen sie. Und da sie auch noch eine sehr sensible Seele besaß, konnte ihr meine diesbezügliche Meinung kaum entgehen. Während ich verlegen auf der Unterlippe kaute, las sie verdutzt in meinen Augen. Zu meinem maßlosen Erstaunen bekamen ihre Wangen plötzlich Farbe. Ich hatte eher erwartet ausgelacht zu werden. Ich räusperte mich und versuchte das Gespräch in unverfänglichere Bahnen zu lenken: „Und warum bist du dann hier? Ich meine, wenn du dich vor Mister Eagleton verstecken willst, ist sein Balkon ja nicht gerade ideal.“ Sie lachte und holte einen kleinen Kasten hinter ihrem Rücken hervor. „Ich wollte nur warten, bis Mister Eagleton sein Zimmer verlassen hat, um ihm ein kleines Geschenk zu machen.“ Sie grinste verschmitzt, wobei die Spitzen ihrer Schneidezähne sichtbar wurden – fast wie bei mir.
„Ein Geschenk?“
„Ja, sechs faule Eier. Ich wollte sie in seinem Gepäck zerdrücken. Vermutlich hätte er die Nachricht verstanden, oder?“
Ich räusperte mich erneut. „Das wäre aber nicht gerade nett gewesen. Hätte es nicht gereicht, sie ihm ins Zimmer zu werfen?“
„Nein, das wäre gemein. Unsere Dienstmädchen haben so schon genug zu tun.“
Ich nickte schmunzelnd. „Sehr verständnisvoll. Aber ich nehme an, dass du die Eier für einen passenderen Kandidaten aufheben wirst? Charles wird dich bestimmt nicht bedrängen.“
„Na, wenigstens einer weniger.“ Einen winzigen Moment kam unter ihrer fröhlichen Ausstrahlung ein Hauch von Müdigkeit und Verzweiflung zum Vorschein. Am liebsten hätte ich sie umarmt, aber das war angesichts der physischen Realitäten und der gesellschaftlichen Gepflogenheiten natürlich nicht möglich.
„Warum will er dich nur so dringend verheiraten? Kann er nicht warten, bis du selbst jemanden aussucht?“
„Wir Blackwells sind schon sehr lange sehr wohlhabend. Mein Ur-Ur-Großvater war ein außergewöhnlicher Soldat. Und jeder seiner Nachkommen war entweder ein Künstler oder besonders geschäftstüchtig. So wurden wir zu einer der reichsten Familien des Empires.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Mein Vater hat nun die Zwangsneurose, dass er alle Geschäfte unserer Familie in den Sand gesetzt hat. Nur die Hundezucht läuft noch. Ich nehme an, er will wenigstens sicherstellen, dass nicht auch die Blutlinie ausgerechnet mit seiner Tochter endet.“
„Aber du bist doch keine Zuchtstute“, meinte ich empört. Ich schien ihr so sehr aus der Seele zu sprechen, dass ihre Augen feucht wurden. Wieder kam der unsinnige Impuls über mich, sie beschützend zu umarmen. Instinktiv machte ich einen Schritt vorwärts. Und dann brach die unsichtbare Grenze aus Schüchternheit und Konventionen zwischen uns. Mit sanften Händen ergriff sie mich und drückte mich an ihren Hals. Ich erwiderte die Umarmung von ganzem Herzen. An diesem Tag lernte ich, das Umarmungen nichts mit Armlänge und eine Frau aufzufangen nichts mit Körpergröße zu tun hat. Ich war der König des Universums. Ich weiß nicht, was berauschender war: Ihre weiche Haut zu berühren oder ihr wunderbarer Duft.
Den Rest des Abends verbrachte ich auf ihren Knien. Wir vergaßen die Zeit und plauschten über alle erdenklichen Dinge. Ich muss gestehen, dass ich ihr sogar die Hintergründe meiner Existenz offenbarte, auch wenn ich darauf nicht stolz bin. Ich hatte zwar niemandem explizit mein Wort gegeben, Stillschweigen zu bewahren. Dennoch widersprach mein Handeln zweifellos dem geheimen Charakter unseres Projekts. Aber zwischen uns herrschte ein Gefühl, das für alles Andere nur wenig Platz ließ.
Der Abend endete kurz vor Elf, als Charles zurück in unser Zimmer kam. Als er Licht machte, stoben wir auseinander, als hätten wir etwas Verbotenes getan. Dabei konnte er uns ja nicht einmal sehen. Mir blieb fast das Herz stehen, als sie nach einem hastigen Abschied an der efeubewachsenen Außenwand zu ihrem Balkon hinüberkletterte. Meine Sorge erwies sich jedoch als unbegründet: Julie bewegte sich so schnell und sicher wie ein
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