Steels Ehre: Jack Steel und die Schlacht von Höchstädt 1704. Historischer Roman (German Edition)
viele Meilen haben wir heute Eurer Meinung nach hinter uns gelassen?«
»Heute, Sir? Ungefähr zehn Meilen, Sir.«
»Ja. Das würde ich auch sagen. Dieser Fluss, Sergeant. Das ist doch die Paar, nicht wahr?«
»Weiß ich leider nicht, Sir. Wir haben uns doch nicht verirrt, Major?«
Jennings bedachte ihn mit einem düsteren Blick. »Verirrt? Wieso sollte ich mich verirren, Stringer?«
Jennings schaute wieder auf die Karte und drehte sie so, dass er den echten Flusslauf mit der schraffierten Linie auf der Karte in Übereinstimmung brachte. Es nützte alles nichts.
»Wir werden dem Verlauf des Flusses folgen, Sergeant. Weiter nach Osten.«
»Wenn Ihr es sagt, Sir.«
»Ist das nicht Osten?«
»Wenn Ihr es sagt, Sir.«
»Seid nicht so verdammt störrisch, Mann. Sagt mir, ob das Osten ist.«
»Es ist Osten, Sir.«
»Danke, Stringer. Wenn wir einfach dem Fluss folgen und uns nach zwei Meilen rechts halten, können wir weiter nach Süden marschieren. Am Abend schlagen wir unser Lager auf und erreichen am nächsten Tag, so Gott will, Sattelberg. Dort müssten wir in der Frühe unseren Mehlhändler Herrn Kretzmer treffen.«
»Wenn Ihr es sagt, Sir.«
Jennings seufzte. Er gab es auf. Dann beschloss er, nach zwei Meilen erneut Halt zu machen, um die Situation neu zu bewerten.
Er stieg vom Pferd, setzte sich auf einen Baumstumpf, drehte sich absichtlich ein wenig von den Männern weg und holte den Geldbeutel aus der Tasche, den Stapleton ihm anvertraut hatte. In der Hand schien die Börse noch schwerer zu sein als in der Rocktasche. Mit den Fingern tastete er über die Umrisse der Münzen. Schließlich konnte er sich nicht mehr beherrschen, löste das Band des Beutels und nahm eine der Goldmünzen heraus. Langsam, beinahe liebevoll drehte er die Münze zwischen Daumen und Zeigefinger.
Als er ein Hüsteln hinter sich vernahm, schaute er erschrocken auf und sah Stringer keine drei Schritte entfernt stehen. Jennings hatte seinem Sergeant von dem Auftrag erzählt, aber den Wert der Briefe hatte er nicht näher erläutert. Nach wie vor hielt er es für klug, Stringer über die Dringlichkeit der Mission unterrichtet zu haben. Denn der Major wusste, dass der Sergeant ein Verbündeter war, doch er könnte sich auch in einen unnachgiebigen Feind verwandeln. Ganz bewusst spielte Jennings weiter mit der Goldmünze.
»Wie Ihr seht, Sergeant, gehöre ich zu den glücklosen Männern. Ich bin daheim der jüngere Sohn. Ich erbe nichts. Ich erhielt eine bloß kleine Entschädigung. Mein Bruder bekommt alles. Ihr habt solche Sorgen natürlich nicht. Einst hoffte ich auf mehr. Ja, ich hatte große Erwartungen. Aber ein junger Mann lernt schnell, sich mit den Gegebenheiten des Lebens abzufinden. Besser, man macht sich überhaupt keine Hoffnungen, wie? Dann ist man hinterher auch nicht bitter enttäuscht. Ihr zum Beispiel habt nichts bekommen. Aber Eure Familie hatte ja auch nichts.«
»Ein bisschen schon, Sir. Meine Mutter hatte ’nen kleinen Laden, als ich klein war. Verkaufte Makrelen auf dem Honey Lane Market. Vier Stück für sechs Pence. Aber dann verkaufte sie verdorbenen Fisch und verlor ihren Job, und wir waren arm. Sie wurde zur Diebin. Eines Tages wurde sie erwischt, als sie Silberspitze aus einem Laden in Covent Garden stahl. Die hängten sie, bis sie tot war. Hängten meine Mutter wegen einem verdammten Stück Spitze. Und dann war ich allein. Hab meinen Vater nie kennengelernt, wisst Ihr, Sir. Und deshalb …«
»Deshalb seid Ihr in schlechte Gesellschaft geraten, wie?« Jennings konnte den Sermon des Sergeanten nicht mehr hören. Immer dieselbe Geschichte. »Und Ihr wurdet ein echter Schurke.« Er lachte, doch es sollte ein Scherz unter Kameraden sein.
Stringer schien ihn nicht davon abbringen zu wollen. »Aber heute bin ich kein Schurke mehr, Sir. Ich bin Sergeant, Major Jennings.« Stolz zeigte er auf die Silberspitze an seiner Uniformjacke. »Ein geachteter Mann. Silberspitze, Sir. Und keiner wird mich dafür aufknüpfen.«
Jennings nickte. »Also ein geachteter Schurke, was, Stringer? Und Eure Mutter wäre stolz auf Euch. Trotzdem bleibt Ihr ein Schurke. Ihr könnt Eurem wahren Selbst nicht entkommen. Ja, eines Tages weiß man eben, ob man im Grunde seines Herzens gut oder schlecht ist.«
Stringer schwieg, da er nicht recht wusste, was er darauf sagen sollte. Jennings blickte wieder auf den Beutel Goldmünzen und überlegte. Könnten nicht auch ein paar Münzen fehlen?
Stringer schien die Gedanken des Majors
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