Stefan Bonner und Anne Weiss
Ripp-Shirt, verwaschener Jeans und mit offenem Hosenstall.
Er drückt Markus kurz an sich und versucht sich dann an einer Erklärung: »Jung, tut mir schrecklich leid. Aber du weiß ja, wie die Weiber sin. Kannste nix machen«, meint er in breitem Rheinlän-disch. »An den Kosten für heut beteilije isch misch. Is ja Ehrensache. Aber isch konnt die Alex auch nich umstimmen.« Er tätschelt Markus noch ein paarmal aufmunternd die Schulter, dann wendet er sich zum Gehen.
Auf der Treppe dreht er sich noch einmal kurz um. »Ach, was isch noch vergessen hatte. Die Alex is übrigens schwanger. Wir mel den uns dann noch mal.«
Seitdem muss Markus jeden Monat eine Aufwandsentschädigung für seine Tochter entrichten und rät jedem zur Vorsicht, der aus Lie be eine Unterschrift leisten möchte. Kinderlosen geht es mitunter nicht besser. Dies konnte man beim ProSieben-Wedding-Planner Frank erleben, der für Uta und Andreas aus Berlin die Traumhoch zeit ausrichten sollte, sie Friseurin, er Lagerist. Das Problem dieses Paares: Sie wollten ihren speckigen Köter im Standesamt dabei-haben, weil sie ihn wie ein Kind lieben, doch das Viech war nicht zugelassen. Moderator Frank Matthee gab alles, und so wurde es doch noch ein Traumtag.
Es gibt also Fälle, in denen die Feierlichkeit glatt geht, es ein Happyend gibt und das Paar in den siebten Flitterwochenhimmel entschwindet. Dann ist alles gepackt, die Gäste sind bewirtet und verabschiedet, und das junge Paar müsste sich eigentlich nur noch auf die gemeinsame Zukunft freuen. Doch stattdessen fühlen die beiden sich verpflichtet, alle auf dem Laufenden zu halten. Kaum an ihrem Flitterwochenziel, der Karibik, angekommen, ortet das Liebespaar mit sicherem Blick den Computer in der Lobby und schreibt allen Freundinnen und Freunden Rundmails.
In der ersten Mail erzählt Lisa stolz, dass sie zuvor eigens einen Verteiler namens »Hochzeitsgäste« angelegt hätte, um auch niemanden zu vergessen. Sie schreibt, dass sie gut angekommen seien, dass das Wetter super sei und so fort – drei DIN-A4-Seiten lang ist der Reisebericht und unendlich langweilig.
Warum haben die beiden nicht wenigstens eine erotische Ge schichte über ihre Hochzeitsnacht verfasst? Oder saßen sie da auch am Computer? Hoffentlich nicht, denn eigentlich sollte man sich als frischvermähltes Paar auf dem herzförmigen Bett eines Hotels räkeln und von der schönen Landschaft und dem Computer in der Lobby frühestens am Abreisetag etwas sehen. Zwischendurch darf man höchstens eines oder zwei Eingeborenendörfer besichtigen, um danach gleich wieder in den Freuden des jungen Eheglücks zu schwelgen.
Warum hat die Generation Doof so große Probleme damit, einfach ganz gewöhnliche Liebesbeziehungen zu führen – sich verlieben, verloben, verheiraten, ohne die übrige Welt ständig über die eigene Befindlichkeit in Kenntnis zu setzen? Warum muss unsere Generation den Partner bei jeder Gelegenheit mit dem eigenen Ego oder der Kuschelmanie verprellen, oder gleich jedes paarungsfähige Sub jekt bespringen, das die Straße kreuzt?
Der Unterschied zwischen uns und vorherigen Generationen ist der, dass wir Doofen nicht wie in früheren Zeiten auf eine große Lovestory aus sind, sondern dass wir die Problematisierungsstrate-gien von Fernsehserien wie Gute Zeiten – Schlechte Zeiten übernehmen. Unser Lebenspartner steht unter ständiger Beobachtung, wir nehmen jedes kleinste Detail unserer Beziehung unter die Lupe, in alles und jedes interpretieren wir etwas hinein. Das Drama re-giert wie in den Fernsehserien: Die Lesbe aus dem ersten Stock, deren leukämiekranker Bruder gerade im Koma liegt, leidet Höl lenqualen, weil sie sich in den Inhaber der Wäscherei verliebt hat, einen alleinerziehenden Vater. Quälende Therapiegespräche über ihre kaputte lesbische Langzeitbeziehung folgen. Nach der hem mungslosen Vereinigung mit dem Wäscher folgt die tränenreiche Versöhnung mit der Lebensgefährtin … So kennen wir es aus dem Fernsehen, und genau das Gleiche erwarten wir von unserem eige nen Leben. Wir sind nicht glücklich ohne Drama – aber mit Dra-ma auch nicht.
Die Fernsehserie schlägt den Film als Vorbild für reale Liebes-figuren. Wir übernehmen die Liebes-und Streitkultur aus Seifen opern, die das echte Leben nachahmen. Wirklichkeit und Fiktion vermischen sich schnell, und wir können bald nicht mehr zwischen Drehbuchdrama und wahrer Liebe unterscheiden. Warum wir uns überhaupt die Mühe machen sollten, uns auf jemand
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