Stefan Bonner und Anne Weiss
öffentlich. Wenn alle Welt sich dafür interessiert, wer Paris gerade beglückt, dann soll sie auch erfahren, was in unserem Bett in Peine, Pattensen und Piesenhausen vor sich geht. Und da es bei einem Telefonat immer nur wenige Umstehende gibt, ist es sicherer und praktischer, sein Liebesleben übers Internet kundzutun – unverbindlich, kurzlebig; austauschbar. Die Generation Doof ist ihr eigener Held in ihrem eigenen Film. Und Filme brauchen Zuschauer.
Doch was ist jenseits der Leinwand aus den wahren Gefühlen geworden? Gibt es noch eine Chance für die Liebe?
»Ein Ring, sie zu knechten und ewig zu binden« – Von Hochzeiten, anderen Katastrophen und wahrer Liebe
Wäre die Welt wirklich schöner, wenn es keine Liebe gäbe? Wir glauben es nicht. Die Liebe mag uns zwar manchmal wie eine üble Erfindung erscheinen, trotzdem brauchen wir sie. Körperliche Zuwendung tut dem Immunsystem gut, und solange wir uns nicht wie in den USA zu einer sogenannten »Cuddle Party«, einer Ku-schelparty, treffen, sind wir gezwungen, allein auf die Suche nach Streicheleinheiten zu gehen. Ein Partner kann da nicht schaden, doof hin oder her.
Machen wir uns nichts vor: Niemand ist zurechnungsfähig, wenn er frisch verliebt ist, ganz gleich, ob doof oder nicht. Was aber geschieht, wenn wir es mittels oder trotz unserer ungelenken Lie besbezeugungen auf einigen Umwegen doch noch geschafft haben, das Herz eines anderen Menschen zu gewinnen? Und was, wenn wir unser Loveboat in den Hafen der Ehe steuern und uns das Ding dann mit Vollgas gegen die Kaimauer knallt?
»Die Ehe ist ein Vertrag zum wechselseitigen und ausschließlichen Gebrauch der
Geschlechtsteile zwischen Mann und Weib.«
Immanuel Kant Apropos Ehe: Mit dem verbindlichsten aller Liebesschwüre hat die Generation Doof so ihre Probleme. Manchmal ist schon der vermeintliche Anfang des Glücks der Beginn einer Reise ins Nirgendwo. Vor dem Tor einer Kirche in Bergisch Gladbach hatten Freun de eines frisch verheirateten Paares ein Plakat mit der Aufschrift »Auf zur letzten Etappe« aufgehängt. Wir finden, hoffnungsfrohe Wünsche für eine gemeinsame Zukunft sehen anders aus. In sol chen Fällen ist in Sachen Heiraten Skepsis angebracht.
Stefan erzählt: Kaum zu glauben – nach dem Erlebnis im Biergarten und durch wachten Nächten in Internet-Partnerbörsen hat mein Kumpel Markus tatsächlich die Richtige gefunden. Alexa heißt sie, ist fünfundzwanzig Jahre alt, will eigentlich Model werden, arbeitet tagsüber bei Starbucks und tanzt nachts als Go-go-Girl in einer angesagten Disco. Dort hat Markus sie auch kennen gelernt. Er wollte nach Hause, sie hatte Feierabend. Beide tranken ein Jever am Eingang. Sie sahen sich an, erkannten, dass sie die gleiche Bier marke bevorzugten, und es funkte. Das musste Schicksal sein. Die ganz große Liebe. Und das jetzt schon seit acht Monaten.
Ich stehe mit Markus auf der Treppe des alten Kölner Rathauses. Standesamtlicher Hochzeitstermin. Eigentlich ein perfekter Tag. Die Sonne scheint, stahlblauer Himmel, und auf dem Platz vor dem Rathaus hat sich schon eine kleine Menge von Verwand ten und Schaulustigen versammelt, die gespannt auf den großen Moment warten. Wir warten auch. Schon seit einer Stunde. Auf Alexa.
Markus wird langsam nervös, und nach dem dritten Beruhi gungspils bilden sich große Schweißtropfen auf seiner Stirn. Um die Gäste bei Laune zu halten, haben wir schon mal die ersten Flaschen Sekt freigegeben. Markus’ Mutter ist beim vierten Glas und stimmt jetzt mit den anderen Wartenden den Karnevalsschlager Poppe, Kaate, Danze, datt kannste an. Frei übersetzt auf Hochdeutsch: »Poppen, Kartenspielen, Tanzen, das kannste.«
»Wann kommt die denn endlich?«, meint Markus und tritt ner vös von einem Bein aufs andere.
»Keine Sorge, die ist bestimmt gleich da«, will ich ihn beruhigen, doch da blubbert plötzlich sein Handy – Markus hat den furzenden Fisch als Klingelton. Eine SMS.
Er schaut auf das Display, liest den Text und wird kreidebleich.
Ich reiße ihm das Handy aus der Hand. Die Nachricht stammt von Alexa: »Hej, du! Komme heute nicht. Habe Papa geschickt. Der erklärts dir. Machs gut. Lg Alex.«
Markus lehnt sich an meine Schulter und fängt an zu weinen. Unten auf dem Platz schmettern die Karnevalssänger »Die Karawane zieht weiter, der Sultan hat Durst«. Während mir allmäh-lich der ganze Umfang der Katastrophe bewusst wird, kommt wie aufs Stichwort Alexas Vater die Treppe hochgestiefelt – in weißem
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