Stefan Bonner und Anne Weiss
wie »Fett in Strapsen macht mich an«, »Vaterfra ge – wer hat meine Frau geschwängert?«, »Sexklusive Geheimnisse«, »Affären-Check: Sag mir, wer dein Lover ist« oder »Mein Busen ist der schönste« zucken wir nicht einmal mehr mit der Wimper.
Genauso ungeschminkt und ungefiltert wie Sex und Liebe auf uns einströmen, so geben wir sie auch wieder ab. Und so kann jeder jeden Tag mit ansehen und zuhören, wie Beziehungen der Generation Doof verlaufen, denn wir tragen unsere Liebesangelegenheiten am liebsten vor Publikum aus, egal, ob es um Liebesfreud oder Lie oesleid geht. Mit der Offenbarung liegt die Verantwortung für die Beziehung nicht mehr bei dem Paar, sondern bei der Öffentlichkeit. Die weiß ja schließlich, was man falsch oder richtig gemacht hat. Immerhin sind doch bei Kallwass auch ganz viele Zuschauer dabei.
»Ich spiele den unglücklich Verliebten. Sie ist der moderne unromantische Typus, immer am Computer und am Handy.«
Gérard Depardieu in Chanson d’Amour Weil wir’s öffentlich mögen, ist das wichtigste sexuelle Hilfsmittel ohne Zweifel das Mobiltelefon. Dank dieser tragbaren Abhöran-lagen war Feldforschung am liebenden Objekt noch nie so ein fach. Denn die Generation Doof telefoniert überall: im Zug, auf der Straße, im Café. Das Handy hat den öffentlichen Raum längst durchdrungen, und so denkt der Telefonierende gar nicht daran, dass alle Konflikte, die er in der Straßenbahn am Handy austrägt, unfreiwillige Zuhörer finden.
Andrew Monk, Wissenschaftler an der University of York, hat herausgefunden, dass man einem Handytelefonat genau deswegen lauschen muss, weil man bei solchen Gesprächen nur eine Seite der Geschichte hört. Der Wissenschaftler vermutet, dass man versucht, den Rest des Gesagten zu ergänzen, um für sich selbst einen Sinn herzustellen – oder dass man wachsam bleibt, weil bei einer einsei-tigen Ansprache nie ganz klar ist, ob man als zufälliger Zuhörer nicht doch gemeint ist.
Wer allerdings kein Forschungsinteresse hat oder einfach nur dasitzen und einen Kaffee trinken will, für den ist das ständige Ge-klingel und Geblubber oft einfach nur lästig. In einem Straßencafé war neulich folgendes akustische Feuerwerk zu vernehmen:
Ein junges Mädchen, angetan mit einer khakifarbenen Hose und Basecap, liest ihrer Freundin die SMS des jungen Mannes vor, von dem sie sich offenbar kurze Zeit zuvor getrennt hat.
»Isch sag dir«, erzählt die junge Dame ihrer Gefährtin, »der hat mir eine Simse nach der anderen geschriebn.«
»Hmm«, antwortet die solchermaßen Angesprochene.
»Schau mal, schickt der mir ne SMS, wo steht: WO BIST DU?«, fährt die Erste fort und lacht. »Und dann: WO BIST DU DENN?« Sie kichert. »Da hatta angerufen, und hab isch nisch abgenommen.« Seufzt theatralisch. »Hatta misch angerufen. Was ruft der misch an?« Sie schüttelt angewidert den Kopf. »Eh, der soll misch doch nisch anrufn. Dann schickt er mir die hier: RUF MICH MAL ZU-RÜCK. Was denkt der sisch denn, dass isch ihn zurückruf? Und jetzt, hör mal: ISCH LIEB DISCH DOCH! Weißt du …«
Während der Rest der Botschaft im hemmungslosen Gekicher der beiden untergeht, ist wieder eine Schlacht gegen die Intelligenz geschlagen. Aber im Krieg und in der Liebe ist ja bekanntlich alles erlaubt.
Interessant an diesem Beispiel ist vor allem folgender Gedankengang, der den Verlassenen offenbar bewegt hat: Sie hat ein Han-dy, warum ist sie dann nicht erreichbar? Der Gedanke, sie hätte ihm nicht antworten wollen , kommt ihm so abwegig vor, dass er sich in der Folge total lächerlich macht, indem er eine SMS nach der anderen verschickt.
Seine dämlich anmutende Reaktion zeigt einen weit verbreiteten Trugschluss unserer durch den technischen Fortschritt mit allerlei Gerätschaften vermüllten Zeit. Dieser besteht aus einer Gewissheit und einer Folgerung:
Gewissheit: Die Frau besitzt ein Mobiltelefon. Folgerung: Sie muss Tag und Nacht erreichbar sein. Diese Annahme der ständigen Verfügbarkeit und der daraus resul tierende Irrglaube, Spontaneität bilde den Kern des Erfolgs, tötet jede Leidenschaft und macht anderen das Leben zur Hölle. Wer immer und zu jeder Zeit erreichbar ist, schafft kein Begehren. Wir sind wie kleine Kinder: Ich will dies, ich will das, ich will dich, und das sofort. Dabei wissen wir aus leidvoller Erfahrung: Das, was man nicht bekommt, will man umso leidenschaftlicher.
Doch es ist zu verführerisch, denn die Liebeserklärung per Handy kann so einfach sein.
Weitere Kostenlose Bücher