Stefan Bonner und Anne Weiss
nun auch noch bestimmen, auf welcher Strecke der Wagen unterwegs war.
Wir mussten passen, und das, obwohl wir uns für schnelle Au-tos durchaus begeistern können.
Dass wir den PISA-Fragen nicht gewachsen waren, wurmte uns schon ein wenig. Uns beschlich der Verdacht, dass die Lehrer uns Deppen das Abitur-und Magisterzeugnis nur überreicht hatten, um uns endlich loszuwerden, und weil es sonst mangels intelligenten Nachwuchses überhaupt keine Akademiker mehr in Deutschland gäbe – was der Wirklichkeit leider sehr nahe kommt.
Dem Letzten geht das Licht aus – Wie unsere Elite schrumpft Wenn die deutsche Jugend beim Bildungshürdenlauf weiter so schlecht abschneidet, kann uns nur noch Input von außen aus der Misere helfen. Nach dem Import billiger Kleider aus Taiwan und leckerer Billigbäckerei-Brötchen aus Polen möchten wir vorschla-gen, in Zukunft auch das Know-how für unsere Schulen im Ausland zu besorgen: Busladungen skandinavischer Bildungsraketen würden dann heimlich ins Land gekarrt und gegen die heimischen Dumm-Dumm-Geschosse ausgetauscht, damit sie die kniffligen PISA-Aufgaben lösen.
Dies scheint an den Hochschulen schon Realität zu sein. Viele der Hochschulabsolventen in Deutschland sind Importe; mittlerweile kommt schon jeder fünfte Studienanfänger aus einem ande ren Land. Im Gegenzug zieht es viele der letzten verbliebenen cleve ren Deutschen in die Ferne. Jeder siebte deutsche Studienabsolvent wandert beispielsweise in die USA aus, und das, obwohl Green cards ungefähr so schwer zu bekommen sind wie eine Privataudienz beim Papst.
»Entweder man macht Karriere, oder man geht den Bach runter.« Bruce Willis Es sind die so genannten Besten der Besten, die sich auf und davon machen. Man bietet ihnen im Ausland die Aussicht auf eine glänzende Karriere jenseits von Hartz IV, Neiddebatten und deutschen Bedenkenträgern. »Die Leute hier packen die Probleme an, es ist nicht alles so negativ wie zu Hause. Besonders gefällt mir, dass man seine Ideen umsetzen kann«, erklärt Nicole, eine Deutsche, die nach ihrem Studienabschluss seit zwei Jahren bei einer australi-schen Telekommunikationsfirma arbeitet.
Sie ist nur eine von vielen. Bildungsexperten sehen angesichts dieses »Brain Drain« bereits die zukünftige Elite Deutschlands schwinden. Kein Wunder, dass man hierzulande noch flugs ein paar Elite-Unis aus dem Boden stampft, indem man der einen oder anderen völlig überlaufenen Massenuni das Prädikat »besonders wertvoll« aufdrückt. Wo sich gestern noch unzählige Studenten in engen Hörsälen drängen mussten und von ihren Professoren eher als notwendiges Übel zwischen zwei Forschungssemestern im Ausland betrachtet wurden, könnte schon bald ein Kampf um die letzten verbliebenen Intelligenten entbrennen. Wird dann der Rektor die obligatorische Willkommensrede für die Erstsemester mit den Worten: »Liebe Hinterbliebene, liebe Zurückgebliebene, schön, dass Sie noch da sind …« beginnen?
Der Wert des Studenten an sich könnte in Zukunft exorbitant steigen, und vielleicht gäbe es dann sogar Prämien fürs Studieren in Deutschland: kostenlose Geburtstagsfeiern in der Mensa, wo dann Dreisterne-Koch Dieter Müller am Herd steht; ein Sektfrühstück mit dem Dekan, den man früher in seinem ganzen Studentenleben nicht zu Gesicht bekam; oder ein Bonusheft mit exklusiven Prä- mien für die Teilnahme an Vorlesungen – vorstellbar ist alles, was glücklich macht, nur bitte keine Flugmeilen!
Der Aufwand wäre gerechtfertigt. Denn im internationalen Ver gleich bildet Deutschland wenige Akademiker aus: Schließen hierzu lande einundzwanzig Prozent eines Jahrgangs ein Studium ab, sind es im Durchschnitt der OECD-Länder fünfunddreißig Prozent. Eine geringere Akademikerquote als in Deutschland gibt es nur noch in der Tschechischen Republik, in Österreich und in der Türkei.
Es herrscht Akademikernotstand. Innovation fehlt, Mittelmaß macht sich breit. Gerade die Zwanzig-bis Dreißigjährigen, die ei gentlich in absehbarer Zeit das Ruder übernehmen sollten, sind in einem beklagenswerten Zustand: Rund zwanzig Prozent sind ausbildungsresistent und haben daher keinen vernünftigen Beruf erlernt. Weitere zehn Prozent haben keinen einfachen Hauptschulabschluss, und dreißig Prozent sind Studienabbrecher. Die fünf Millionen deutschen Uni-Absolventen mit Hochschulab-schluss oder sogar Promotion scheinen auf den ersten Blick zwar viel. Doch ihre Zahl wird von fast fünfmal mehr Menschen ohne
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