Stefan Bonner und Anne Weiss
wie wir uns in der Berliner Guggenheim-Ausstellung – nach fünf Bieren vor dem Eingang schon leicht matschig in der Birne – darüber wunderten, warum plötzlich alles so surrealistisch aussah. Oder wir fragen uns, ob Paul Klee nicht der Kommissar im letzten Tatort war. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Kandidaten bei Wer wird Millionär?, der die Redensart »Klappe zu, Affe tot« nicht kannte? Dem ging es nicht viel besser als uns, wobei man in diesem Fall Milde walten lassen muss. Gerade Redensarten und Sprichwörter ändern sich heute so schnell, wie Sonya Kraus das Outfit bei Talktalktalk wechselt.
Weisheiten und Sprichwörter von gestern – und wie sie heute heißen
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Was Hänschen nicht lernt, schlägt Hans bei Wikipedia nach. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Was nicht bis gestern fertig geworden ist, kann auch morgen nicht besonders dringend sein.
Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. »Geiz ist geil!«
Alter schützt vor Torheit nicht. Jugend auch nicht.
Arbeit ist das halbe Leben.
Die andere Hälfte ist aber viel schöner, nehmen wir doch die.
Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln. Der blödeste Prolet hat das dickste Auto.
Deutsche Sprache, schwere Sprache. Deutsch Sprach, krass Sprach, Alda! Dumm bleibt dumm, da helfen keine Pillen.
Stimmt. Hoffen wir auf die Gentechnik.
Wenn man diese Grundregeln beherrscht, kann nicht mehr viel schief gehen, oder? Mitnichten. Echtes Wissen ist nicht nur für den Hauptgewinn in einer Bildungsshow wichtig, sondern hat auch einen praktischen Nutzen. In einem Internetforum beschreibt ein Lehrer, auf welche Kenntnisse es heute anscheinend wirklich ankommt: »Es gibt in meiner Klasse zahllose Jugendliche, die mehr Automarken einschließlich aller technischen Details auswendig hersagen können als ein Autoverkäufer mit zehn Jahren Berufserfahrung. Die aber bei Englischvokabeln keine drei Stück pro Tag schaffen.«
Das, was einen interessiert, kann man sich eben besser merken. Und in diesem Fall ist das Wissen außerdem von zentraler Bedeutung für das Überleben der Art, denn offenbar handelt es sich um eine Form des modernen Darwinismus: Über ein solches Wissen muss man verfügen, um im 21. Jahrhundert in einer Gruppe hoffnungsfroher Jungproleten als Alphatierchen anerkannt zu werden, daraufhin die schärfste Schnitte abzuräumen und so für den Fort-bestand der Art zu sorgen.
Welche Art von Wissen man von uns verlangen darf, zeigen Zeitschriftenrätsel: Sie testen unsere für das Überleben in der Zivilisation notwendigen Kenntnisse hart und unerbittlich. Die Zeitschrift BUNTE fragt beispielsweise: »Wie lautet die handelsübli-che Abkürzung für Tiefkühlkost?«, oder stellt uns vor das geniale Rätsel »Kenne ich diesen Buchstaben?«, bei dem jede Woche ein anderes Consumer-Kunststückchen abverlangt wird, beispielsweise bei der kniffligen Frage, zu welcher Fastfood-Kette ein großes »M« mit geschwungenen Bögen in der Farbe Gelb gehört. Das ist Allgemeinbildung! Da fühlt man sich doch sofort viel schlauer, weil man die Frage beantworten konnte, ohne nachzudenken.
Mal im Ernst: Das moderne Leben stellt Anforderungen an uns, die sich heute grundlegend von dem unterscheiden, womit uns Mut ter schon im Kindergartenalter belästigt hat. Man muss heutzutage wissen, wie man in Word die Rechtschreibprüfung aktiviert, wie man einen Browser konfiguriert, ob der neue DVD-Player schon das neue DivX-Format abspielt, wie die verfluchten Ticketautoma ten der Deutschen Bahn funktionieren, wie man per automatischer Weiterschaltung im Callcenter auch wirklich zum Kundendienst gelangt und nicht nach einem endlos scheinenden Nummernein-gabe-Marathon verzweifelt aufgibt und das schnurlose Telefon aus dem Fenster wirft, oder wie man den vollautomatischen Indukti-onsschleifenherd mit Touchpad-Funktion programmiert.
Statt Goethes und Schillers Werken sollte man mindestens ein halbes Dutzend PIN-Nummern, ein weiteres Dutzend Passwörter und nach Möglichkeit ebenso viele Handytarife auswendig parat haben. Erst, wenn man solche Dinge weiß, ist man wirklich im Heute angekommen. Wir wissen also nicht unbedingt weniger als unsere Vorfahren. Wir verfügen lediglich über ein anderes, zeitge-mäßeres Wissen.
Und damit ist ein Gameboy der Generation Doof nicht grund sätzlich dümmer als der väterliche Playboy. Er hat allerdings zwei grundlegende Probleme: In der
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