Stefan Bonner und Anne Weiss
echten Schätzen allerlei Ramsch zu entdecken. Bei YouTube zum Beispiel sind verschiedene Ausführungen eines Videos mit ei ner dicken Frau zu sehen, die auf einem Laufband joggt. Sie ist nur mit einem Bikini bekleidet, dürfte gefühlte zweihundert Kilogramm wiegen, und im Hintergrund spielt der Karnevalsschlager Mir sind kölsche Mädchen, han Spitzebützchen an. Der Film mit dem Lied über die Spitzenhöschen tragenden Kölnerinnen ist vollkommen sinnfrei, ihn haben sich aber allein bei YouTube schon über zwanzigtausend Besucher angesehen. Die Generation Doof bremst eben auch für andere Dumme.
Höher im Kurs stehen allerdings Fäkalien: Auf über zweihunderttausend Zuschauer bringt es bei MyVideo der Film von einem Mann, der sich einen alten Jugendtraum erfüllen möchte. Mit ei nem Feuerzeug will er beim Ablassen seiner Darmwinde eine Stichflamme entzünden, doch leider geht ihm bei dem Versuch etwas anderes buchstäblich in die weiße Hose. (Es gibt übrigens genü- gend Videos, in denen der Stunt tatsächlich gelingt.)
Ebenfalls sehr beliebt ist bei Clipfish das »Arsch-Lied«, in dem ein netter junger Mann mit seiner Klampfe über die täglichen Leiden unseres Gesäßes sinniert. Die Frage, wer so etwas braucht, erübrigt sich: Eine knappe Million Menschen haben sich den Clip mit dem wenig schamhaften Protagonisten angeschaut.
»Wisse, dass du nichts weißt.
Erkenne die Dummheit in dir.« Sokrates »Die jungen Medien bieten ein neues Forum: Exhibitionismus – leicht gemacht«, kommentiert der Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz den Trend zur ungebremsten Selbstzurschaustellung auch bei unzurechnungsfähigen Personen. Der Online-Exhibitonismus beschert dem Stammtisch-Philosophen endlich das öffentliche Fo rum, das bisher Profi-Kommentatoren vorbehalten war. Im Internet darf nun jeder seinen Senf mit dem der restlichen Welt vermischen.
Der Themenvielfalt sind keine Grenzen gesetzt, es wird über alles palavert und gefachsimpelt, vor allem aber über die eigene Befindlichkeit.
Natürlich gibt es auch erquickende Beispiele, die die elektronische Welt bereichern, wie den Bestatterblog (»Das mit der Kühlung wird wieder«), den Busfahrerblog (»Was tun, wenn Fahrgäste verloren gehen?«) oder den Buchhändlerblog:
Heute Morgen haben wir noch einmal reduziert, um auch die letzten Reste unters Volk zu bringen. So hatte eine Kollegin ein Buch, welches ehemals 9,95€ gekostet hat, um 50 Prozent reduziert. Heute Morgen überklebte sie die »-50%« mit einem »4€«-Etikett.
Später kam eine Kundin zur Kasse und hatte den 4€-Aufkleber fast vollständig abgeknibbelt.
Kundin: »Und watt kost’ das jetzt?«
Ich: »Das kostet jetzt nur noch 4€.«
Kundin: »Also nich’ mehr die Hälfte von 9,95€?«
Ich: »Nein, das kostet 4€.«
Kundin: »Das ist doch Beschiss. Für den alten Preis hätt’ ich’s
mitgenommen, aber für 4€ will ich das nicht.«
Wer die Welt mit seinen Erlebnissen zum Lachen bringt, hat schon gewonnen, doch die ungefilterte und dabei langweilige Dummheit der Masse überwiegt.
Die privaten Kommentare aus dem geistigen Ablagekörbchen der Nation – meistens mit der Webcam gefilmt – können freilich ins Auge gehen. Denn es ist ein beliebter Sport, die Videoblogs anderer Leute in einem eigenen Video auf die Schippe zu nehmen. Das musste auch Angie erfahren. Als bekennender Tokio-Hotel- Fan hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, resistente Tokio-Hotel- Hasser zu bekehren. Ihren Videokommentar stellte sie bei diversen Videoportalen ein.
Angie sitzt vor ihrem Computer im Teeniezimmer. Sie trägt ein rosa Sweatshirt mit einem Blumenmuster aus Strasssteinen. Erst hockt sie ein wenig zögerlich vor der Kamera, legt aber dann mit leicht nöliger Stimme richtig los: »Hey Leute, ich bin’s wieder, die Angie. Also, ich wollt nur sagen, dass dem-nächst mehr Videos gibt, von mir, von meinen Freunden und vom Schatzi – weil ich seit Kurzem vergeben bin. Und ich wollt noch mal sagen: Ich bin stolzer Tokio-Hotel-Fan. Und nur«, sie wird ein wenig bestimmter, »wenn ihr meint, ihr müsstet uns Tokio-Hotel- Fans fertisch machen: Das packt ihr eh nisch! Und wenn ihr meint, ihr müsstet uns fertischmachen, machen wir euch richtig fertisch, ja? Also haltet lieber euren Maul und macht nicht immer: ›Ja, guck mal, wie doof die sind‹ und »Die sind ja schwul‹ und so. DIE SIND NICHT SCHWUL. JA? Wenn ihr meint, die sind schwul, dann seid ihr selber schwul. Oder was auch immer. Mir ist das
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