Stefan Bonner und Anne Weiss
verrutscht. Die Eltern atmen heute schon durch, wenn ihre Kinder zu Hause vor dem Computer sitzen und keinem Kult verfallen.« Thomas Gottschalk
Christian ist mit Anfang dreißig der Jüngste in der Gruppe; die anderen sind Mitte bis Ende dreißig. Was treibt Erwachsene dazu, ihr Leben fast ausschließlich einem Spiel in einer anderen Dimension zu widmen? Ist ihnen das richtige Leben zu doof?
»Wenn ich es mir aussuchen könnte«, erklärt Christian, »dann hätte ich lieber in einer anderen Zeit gelebt, vielleicht im Mittel alter.« Diesen Traum kann er in World of Warcraft ausleben.
Christian ist ein typischer Vertreter der neuen Spielergeneration. Mit elektronischen Wunderkisten wie der Playstation oder der XBox beamen sich viele ihren Kindheitstraum direkt ins heimische Wohnzimmer: Da können selbst unsere Nachbarn mit den gelben Kennzeichen im Spiel Dirt Rallye-Weltmeister werden, der 1. FC Köln gewinnt bei Fifa 2007 endlich die Meisterschale, und selbst mit zwei linken Händen macht man bei Guitar Hero Jimi Hendrix alle Ehre.
Ging es früher beim Brettspiel eher um den geselligen Zeitver treib mit Freunden und Familie, so sind Videospiele für die Gene ration Doof mittlerweile zu einer Art Doppelexistenz geworden. Die Flucht aufs elektronische Terrain gleicht einer neuen Völker Wanderung. Weltweit haben die Hersteller von Spielen und dem nötigen Zubehör in den vergangenen Jahren rund einunddreißig Milliarden Dollar verdient. Da werden selbst Traumfabrikanten aus Hollywood neidisch.
Second Life , das derzeit wohl bekannteste Online-Spiel, schaffte es in kürzester Zeit auf über sieben Millionen Benutzer, auch wenn viele ihre Spielfigur früher oder später vernachlässigen und einfach in der virtuellen Landschaft herumdümpeln lassen. Der Erfolg hat damit zu tun, dass Second Life eher eine Lebenssimulation in einer Parallelwelt ist als ein Spiel: Es gibt keine Handlung und kein vorgeschriebenes Ziel. Es scheint die große Chance zu sein, auf die wir alle gewartet haben: noch einmal neu anzufangen. Wir können das sein, was wir immer schon sein wollten, und die Trugwelt verschafft uns alles, was wir begehren: Freunde, Erfolg und sogar Liebe.
Eine ganze Generation hat die Vorteile solcher Macht für sich entdeckt: In Strategiespielen wie Civilization oder Anno 1701 kann man über ein Weltreich herrschen, selbst wenn man zu Hause in Neukölln keinen Ausbildungsplatz findet.
Die virtuelle Welt ist auch deswegen so praktisch, weil es Cheats gibt: Schummeltricks, mit denen man weiterkommt, wenn sich Probleme auftun und wir keine Lust haben, es noch mal von Neu em zu probieren, so wie wir das im richtigen Leben tun müssten, wenn wir etwas erreichen wollen. In der wirklichen Welt sieht man schnell alt aus, wenn’s mit den Noten nicht so richtig klappen will oder wenn wir um eine Gehaltserhöhung kämpfen müssen. Da übt man sich lieber in der Vogel-Strauß-Taktik und steckt den Kopf in den Silizium-Sand.
»It’s not a game!« Sony Playstation Wer so viel Realitätsflucht albern, infantil und lebensfern findet, könnte damit durchaus recht haben, aber die Generation Doof findet’s einfach geil.
Kluge Köpfe haben den Zerfall der Intelligenz im medialen Durch einander schon lange vorhergesagt. Neil Postman hat die Generation Doof in seiner Kritik der Mediengesellschaft zwischen Babys und Senioren bereits ausgemacht: Er sieht »am einen Ende das Säuglingsalter, am anderen Ende die Senilität und dazwischen den Kind-Erwachsenen«.
Zur Generation Doof gehören Pseudoerwachsene, die sich auf der einen Seite nach kindlicher Geborgenheit und auf der anderen Seite nach einem guten Glas Whisky und der FSK ab achtzehn sehnen. Der ungebremste Spieltrieb, die Verlängerung der schönen Zeit, in der wir jung sind und noch mit allem Möglichen herum experimentieren dürfen, wird auch in Zukunft vor Altersgrenzen keinen Halt machen: Da sind die Mittvierzigerinnen mit Hüftjeans und Nabelpiercing; Eltern, die sich für die Animationsfilme der Firma Pixar noch stärker begeistern können als ihre Kinder; und wir bewundern Popstars, die mit fünfzig jünger aussehen als ihre eigenen Enkel. »Es wimmelt von Vierzigjährigen, die wie Kinder reden und sich kleiden«, mokierte sich Frank Schirrmacher schon vor ein paar Jahren in seinem Buch Das Methusalem-Komplott. Die Verwischung der Altersgrenzen stört allerdings niemanden. Dass wir damit einem Jugendkult huldigen und uns einem Mode-und Schönheitsdiktat unterwerfen,
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