Stefan Bonner und Anne Weiss
müssen wir uns nicht darauf beschränken, Meldungen über Promis zu lesen, nein, hier können wir selbst ein Star sein. Mit Blogs, Chats und eigenen Websites hat die große Zeit der Selbstdar steller begonnen – und auch in den modernen Casting-Shows. Für Internet und Fernsehen gilt wohl: Wer nicht drin ist, der ist out.
Almost Famous – Jeder ist ein Superstar In der Geschichte haben viele Personen durch Pech, Tollpatschig keit oder groben Unfug traurige Berühmtheit erlangt. Mathias Rust landete mit seiner Cessna sozusagen im Wohnzimmer von Michail Gorbatschow und verschwand dafür erst mal hinter russi-schen Gardinen. Der niederländische Fußballer Clearence Seedorf verballerte bei der EM 1996 einen entscheidenden Elfmeter und eilt seitdem als Begründer des holländischen Elfmeter-schieß-daneben-Syndroms. Und der heute wieder völlig unbekannte Landwirt Peter Lorenzen erlangte im Jahr 2000 traurige Berühmtheit, weil er als erster »BSE-Bauer« Deutschlands für eine Weile ganz allein an der Kuhpest schuld zu sein schien.
Inzwischen ist über all diese Verfehlungen ein wenig Gras gewachsen, zur Freude der Beteiligten, denen das schon arg unangenehm war. Man kann ihnen zumindest zugute halten, dass sie sich nicht mit Vorsatz der Peinlichkeit strafbar gemacht haben.
Von der Generation Doof kann man das nicht behaupten. Wir sind immer schnell und nur allzu gerne bereit, uns freiwillig der Lächerlichkeit preiszugeben. Und dabei haben wir auch noch riesigen Spaß.
»Von einem kreativen Standpunkt aus gesehen, bin ich ein Gott.«
Philip Rosedale, Firmenleiter von Second Life Da ist zum Beispiel Johanna. Ihr Auftritt in der letzten Staffel von Deutschland sucht den Superstar verschaffte ihr peinliche Be rühmtheit. Vor dem Casting bei Dieter & Co. am Ballermann verriet sie noch, warum sie sich vor die Kamera stellte: »Ich bin eine kleine Schauspielerin, eine Marilyn Monroe. Inner Bäckerei sagen se immer zu mir, wenn mein Handy klingelt: Hollywood ruft.« Dann betrat Johanna die Showbühne und schmetterte vor der untergehenden Sonne am Strand von Mallorca den unvergess lichen Evergreen: Ich hab die Haare schön, ich hab die Haare schön, ich hab die Möpse schön. In der Folge ließ sie sich von Dieter Boh len eine »schöne Klatsche« bescheinigen, meinte noch: »Dabei is alles«, und verschwand dann wieder in der Versenkung. Das wäre jedenfalls zu hoffen gewesen. Wenig später gab es aber bereits den ersten Popsong zur Peinlichkeit: Du hast die Haare schön. Unterlegt mit viel Bass-Bumm-Bumm gilt das Lied mittlerweile als musikalisches Highlight in jeder Dorfdisco, die etwas auf sich hält. Den Klingelton kann man runterladen, und Johanna war eine Zeit lang Backstage-Moderatorin bei DSDS. Sogar im Kindergarten singen die Kleinen statt Hänschen klein heute lieber Haare schön, weil es so lustig ist. Der Nachwuchs schläft eben nicht.
Johanna war eine von sechsundzwanzigtausend Kandidaten bei Bohlens Star-Suche. Das ProSieben-Kuschelpendant Popstars lockte mit der immer gut gelaunten Nina Hagen immerhin elftausend süße Gesangs-Azubis an. Und bei Heidi Klums Topmodel-Show bewarben sich über sechzehntausend hoffnungsfrohe Möchtegern-Schönheitsköniginnen. Während sich andere europäische Länder mit maximal zwei oder drei Shows dieser Art begnügen, brachte Deutschland in den vergangenen Jahren glatte neun heraus.
Wir brauchen das offenbar. So ist es dann kein Wunder mehr, dass man den Eindruck gewinnt, im Fernsehen würden sich immer mehr Menschen wie du und ich tummeln. Das stimmt ja auch. Aber was genau treibt die Generation Doof auf die Showbühne?
Ganz einfach. Wir spielen in unserem Leben schon seit unserer Geburt die Hauptrolle. Da in Deutschland immer weniger Kinder zur Welt kommen, erhalten die wenigen, die es noch gibt, immer mehr Aufmerksamkeit. Das war auch in unserer Kindheit der Fall: Unsere Eltern haben uns ständig eingeredet, dass wir etwas Beson deres seien, und uns bei jeder Gelegenheit eine Extra-Biß in den Allerwertesten geschoben. Statt Stillsitzen und Zuhören haben vie le der Generation Doof Rumrennen und Schreien gelernt. Ist doch klar, dass wir da gerne Heidi vor die Kamera laufen und dem Dieter etwas vorjaulen möchten. Wie man das am besten macht, haben wir uns schon von frühester Jugend an im Fernsehen angeschaut.
Der Wiener Professor Georg Franck machte sich vor einem gu ten Jahrzehnt in seinem Buch Ökonomie der Aufmerksamkeit al lerhand Gedanken über die
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