Stefan Bonner und Anne Weiss
Shirt anhören muss.
»Das Wichtigste ist doch, dass das Leben Spaß macht«, sagen wir und verziehen uns in ein anonymes Reich von Gleichgesinn-ten. Dort tätscheln wir uns gegenseitig das Ego, spielen miteinan der wie in guten alten Tagen und blenden die graue Lebenswirklichkeit aus.
Wer zur Generation Doof gehört, spielt mit Begeisterung. Immerhin haben wir früh gelernt, dass das ganze Leben ein Quiz ist, dass das Spiel des Lebens uns immer zu einer großen Villa führt, dass wir Menschen uns nicht ärgern sollen, und dass das Wir gewinnt. Nachmittags nach der Schule, zwischen den Vorle sungen an der Uni oder abends nach der Arbeit noch eine schnelle Nummer Singstar auf der Playstation oder eine Runde auf der Nordschleife mit dem Rennsimulator – so stellen wir uns unsere Freizeit vor. Dass wir dabei in virtuellen Welten gefangen sind, wen stört’s?
Beim lustigen Freizeitflippern kommt es übrigens nicht aufs Al-ter an. Wir können auch mit Mitte dreißig noch offen zugeben, dass uns beim Anblick eines Joysticks der Daumen juckt, ohne dass jemand deswegen das Gesicht verzieht. Das Spielen gehört zum Image der ewigen Jugend, mit dem die Generation Doof koket tiert. Wir schämen uns unserer infantilen Ader nicht. Schließlich ist ein weiblicher Guru der US-Spieleszene einundsiebzig Jahre alt, nennt sich »Old Grandma Hardcore« und schwingt trotz Rheuma noch geschwind den Spaßknüppel. Spieler gibt es heute in jeder Altersklasse.
So wie Christian. Der ist auch Spieler. Er ist Anfang dreißig, wohnt in Berlin und ist eigentlich ein ganz Netter. Sein Geld verdient er tagsüber mit dem Zusammenschrauben von Computern in einem großen Konzern.
Sobald Christian aber abends die Haustür hinter sich zuzieht, verwandelt er sich in einen mächtigen Magier und erlebt in seiner kleinen Kreuzberger Wohnung aufregende Abenteuer im Internet. Mit seinem Freund Peter trifft er sich fast täglich im Rollenspiel World of Warcraft. Die beiden sind zwei von über acht Millionen Spielern weltweit, die dieses Spiel simultan im Internet spielen. Je der pflegt sein virtuelles Alter Ego: Christian ist als Zauberer mit langen grauen Haaren unterwegs, Peter als Krieger mit dickem Bi-zeps und Streitaxt.
Als virtuelles Kampfkumpelteam laufen die beiden durch ein riesiges Fantasiereich, das so groß ist, dass selbst Frodo und Gandalf lieber den Billigflieger nehmen würden. Sie retten Prinzessinnen, schlagen Orks und Trolle zu Pixelbrei, ernten für ihre Taten Ruhm und Anerkennung und scheffeln damit virtuelles Gold, das sie bei Bedarf sogar bei eBay für richtiges Geld versteigern können.
Das Spiel nimmt Christian beinahe ernster als seinen Job in der Realität. Er macht jeden Tag pünktlich um fünf Feierabend; die freie Zeit gehört dann ganz dem Internetspiel, und das findet er knorke. Freundin oder Kinder würden ihm nur die Zeit dafür rauben, deswegen ist er als Single ganz zufrieden. Peter und die anderen Bewohner der Online-Welt seien seine Familie, betont er gerne, wenn das Gespräch darauf kommt.
Manchmal trifft er sich mit seinen digitalen Weggefährten sogar in echten Kneipen, trinkt echtes Bier und erfreut sich am nächsten Tag auch eines echten Katers. Da können wir als Außenstehende nur selten mitreden, denn der Abenteurer-Stammtisch hat ausschließlich ein Thema – die Fantasiewelt. Gemeinsame Erlebnisse schweißen eben zusammen: die Rettung der schönen Prinzessin Dumdideldum, der Fund des Schatzes von Dingsdabums und die geplante Befreiung einer unterirdischen Katakombe von Untoten mit unaussprechlichen Namen. Tolle Geschichten mit viel Action, großen Schlachten und mutigen Helden.
»Was passiert denn in dem Spiel sonst noch so?«, fragen wir ganz unbedarft.
Christian fährt sich mit der Hand durch das bereits von grauen Strähnen durchzogene Haar: »Na ja, wenn man’s genau nimmt, eigentlich immer das Gleiche.«
»Wird das denn nicht langweilig?«, wollen wir wissen.
»Nö, eigentlich nicht«, meint Christian. »Wenn man jetzt zum Beispiel einen Schatz sucht, dann ist das ja immer ein anderer Schatz, und an der gleichen Stelle sind die Schätze ja auch nie ver steckt.« Wie das mit Schätzen halt so ist. Das hätten wir Deppen ja gleich ahnen können.
Christian und seine Freunde prosten sich zu und verabreden sich für den nächsten Abend wieder im Internet. Dann wollen sie Prinzessin Haumichblau retten. Vielleicht hieß sie auch anders, aber das konnten wir uns nicht merken.
»Die Werte sind völlig
Weitere Kostenlose Bücher