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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Reichsidee aufgegriffen habe, ohne die damit verbundenen geistigen Herausforderungen zu verstehen; daher sei »sein Werk ein rein politisches geblieben, ein Kern ohne geistigen Gehalt«. 14 Dennoch betonte George auch später, mit Blick auf den verlorenen Krieg, »wir hätten es Bismarck zu verdanken, dass das Land noch zusammenhalte«. 15
    Am Vorabend des Ersten Weltkriegs sollte den fünfhundert über das Reich verbreiteten Denkmälern zu Ehren des Eisernen Kanzlers ein Nationaldenkmal folgen, das alle bisherigen Bismarck-Türme, Bismarck-Brunnen und Bismarck-Statuen in den Schatten stellte. George musste das Schlimmste befürchten. Als Pendant zum Nationaldenkmal auf dem Niederwald, der gewaltigen bronzenen Germania hoch über Rüdesheim, 16 sollte der Bau nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt ausgerechnet auf die Elisenhöhe gestellt werden. An der Ausschreibung 1910 beteiligten sich 379 Architekten, darunter die später berühmt gewordenen Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe und Hans Poelzig. Aber ähnlich wie mit Georges Bismarck-Gedicht ging es auch mit dem Denkmal nicht so recht voran. Bei Kriegsausbruch geriet das Unternehmen vollends ins Stocken, und nach dem Krieg standen wieder die Franzosen im Land.

3
    Die ehemalige Kreisstadt Bingen liegt im Knie des Rheins, wo der Fluss seine letzte scharfe Biegung nach Nordnordwest macht und die aus Süden kommende Nahe aufnimmt. Hat der Rhein zwischen Bingen und Rüdesheim eine majestätische Breite von neunhundert Metern, so verengt er sich beim Binger Loch auf etwa ein Viertel und wird zu einem reißenden Strom. Der Rheindurchbruch zählt zu den Höhepunkten deutscher Landschaft. 17 George liebte das von den Römern kultivierte Hügelland mit seinen Weinbergen, die harmonische Strenge, das milde Klima, das südliche Licht. »Wäre es möglich«, fragte er am Ende der Aufzeichnungen Sonntage auf meinem Land , »in dieser friedfertigen gediegenen landschaft seine seele wiederzufinden?« 18
    Zur sonntäglichen Idylle seiner Kindheit gehörten reinlich gekehrte, ausgestorben wirkende Gassen, in der Nahe badende Kinder, Glockengeläut aus den umliegenden Weilern, Leierkastenmusik. Grau und Ocker sind die vorherrschenden Farben in den zwischen Herbst 1892 und Sommer 1894 entstandenen Sonntagsimpressionen: kalkbestrichene Wände, eine lehmige Heerstraße, Grabmale aus rotem und gelbem Sandstein, als Farbtupfer ein paar Pfingstnelken, ein Strauß Astern. Bedrohlich wirkt nur der auf dem Friedhof aufgestellte große schwarze Schiffsanker, ein Symbol gescheiterter Hoffnung. In solcher Stimmung konnte George seinen Frieden nur scheinbar finden. »Die seele lässt dieses flackern und flammen der sonntäglichen leiden über sich ergehen mit einem merklichen wolgefühl.«
    Sonntage auf meinem Land beschwören den Herbst. Es ist die Zeit der Weinernte, die Zeit der welken Farben und der schweren Düfte. Bis zur Lebensmitte zog George den Herbst allen anderen Jahreszeiten vor. Darin unterschied er sich grundlegend von denen, die in der Nachfolge Heyses und Geibels um 1880 in der Lyrik den Ton angaben und am liebsten Bocksgesänge anstimmten. George konnte mit dieser Dichtung wenig anfangen, weil sie mit seiner Grundüberzeugung kollidierte, der eigentliche Zweck der Kunst liege in der Überwindung
der Natur. Das alljährliche Knospen und Blühen ließ sich dem Lebensgefühl des Symbolismus nur schwer integrieren. Erst 1904/05, in den Gedichten auf Maximilian Kronberger, die den Wendepunkt in Georges Leben markieren, wurde der Frühling zu einer Offenbarung auch für ihn: »Frühling, wie niemals verlockst du mich heuer!« 19
    George fühlte sich wohl in der rheinischen Landschaft und unternahm mit seinen Gästen gern ausgedehnte Spaziergänge, am liebsten auf halber Höhe der Weinberge. Die Natur als solche zu genießen, war ihm jedoch fremd, offenbar fehlte ihm der Sinn fürs Idyllische. »Landschaft war immer nur Hintergrund eines Erlebnisses.« 20 Im Grunde habe George ein gebrochenes Verhältnis zur Natur, fand Sabine Lepsius nach einem Besuch in Bingen. »Unbekümmert um die Herrlichkeit des Sommers« sei er »wie ein gefährlicher Dämon« neben ihr hergelaufen: »Eine plötzliche, unheimliche, ich möchte fast sagen böse Wirkung ging von ihm aus.« 21
    Von seinem 20. Lebensjahr an war George ständig auf Reisen. Der Rhein, eine europäische Hauptverkehrsader von alters her, bot ihm optimale Möglichkeiten. In seiner Jugend leistete er sich manchmal sogar den

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